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Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
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sich auf Anweisung meines Vaters auf die Treppe am Eingang zum Andaruni . Hadj Ali stand am Becken und hatte ergeben die Hände gefaltet. Dadde Chanum kam und ging. Die Stimme meiner Amme ertönte, »Bitte, hier geht’s lang.«
    Sie sagte nicht ›Bitte schön‹. Das war angesehenen und geachteten Menschen vorbehalten. Den Gebildeten, den anständigen Schwiegersöhnen. Aber ›komm‹ zu sagen schickte sich ebenfalls nicht. Es war würdelos und häßlich. Schließlich war er immer noch mein Ehemann.
    Ich hörte den Klang seiner Schritte, wie er die Treppe hochstieg, »Yallah« sagte und das Fünftüren-Zimmer betrat.
    Plötzlich ekelte ich mich vor der Art und Weise, wie er die Schuhe abstreifte, wie er grüßte, demütig die Hände übereinanderlegte und den Kopf senkte. Sein ganzes Verhalten widerte mich an. Eigentlich ekelte ich mich nicht vor ihm, sondern vor mir selbst, daß ich ihn einst begehrt hatte. Ich sah ihn jetzt so, wie ich ihn vor sechs, sieben Jahren hätte sehen müssen. An dem Tag, an dem er gekommen war und um meine Hand angehalten hatte. An dem Tag, an dem Chodjasteh mich fragte, › Den begehrst du?‹ Einen gewöhnlichen, ungebildeten, unsteten und liederlichen Mann, diesmal zwar im Anzug, doch mit schmutzigem Hemdkragen, der wieder offenstand. Nicht etwa aus verzweifelter Verliebtheit, sondern aus gleichgültiger Nachlässigkeit. Sein Anzug war zerknittert und ausgebeult und sein ganzer Aufzug ungepflegt. Das Haar zerzaust, als hätte er es seit längerem nicht mehr gekämmt. Er trug einen Dreitagebart, und seine Lippen waren trocken und aufgesprungen. Er blickte finster und mürrisch drein. Er wirkte in diesem Haus fehl am Platze, geschweige denn, daß er der Schwiegersohn dieses älteren, geachteten Manns sein sollte, der würdevoll dasaß und ihn vom Scheitel bis zur Sohle musterte. Rahim war verwirrt und schien ein wenig betrunken zu sein. Eine Weile lang verharrte er mit gesenktem Kopf. Dann hob er langsam den Kopf und sah fassungslos und mit halboffenem Mund um sich. Als sähe er diesen Ort zum ersten Mal. Als könnte er nicht glauben, daß die Tochter dieses Hauses seine Ehefrau war. Als würde er träumen.
    Mein Vater sagte ruhig und in befehlendem Ton, »Setz dich.«
    Rahim wollte sich auf den Boden setzen. Mein Vater deutete mit der Hand auf den Sessel, der am weitesten entfernt stand, und sagte, »Nicht hierhin, dort.«
    Das Geschehen wiederholte sich. Beide verhielten sich genauso, wie sie sich am Tag meiner Brautwerbung verhalten hatten. Rahim gehorchte und setzte sich. Schweigen breitete sich aus, und dann sagte mein Vater, »Ich danke dir.«
    Rahim sagte mit gesenktem Kopf, wobei er seine Hutkrempe knetete, »Wallah, ich habe doch nichts getan, was der Rede wert wäre!«
    Mein Vater fragte ebenso ruhig, »Was wolltest du sonst tun? War meine Tochter dir eine schlechte Ehefrau? Hat sie dich vernachlässigt? Worüber hast du dich zu beschweren?«
    Unter der ruhigen Oberfläche spürte ich den Zorn meines Vaters. Es war die Ruhe vor dem Sturm. Ein Vulkan, der bereit war, Feuer zu speien und alles zu verbrennen. Aber Rahim war arglos und einfältig. Ihm fehlte der Scharfsinn. Er konnte die Situation nicht einschätzen. Er war unbedarft, und die Sanftheit meines Vaters und sein fragender Ton ermutigten ihn, kühn zu werden. Er änderte plötzlich seine Haltung und sagte in forderndem Ton, »Ihrer Tochter ist zu danken! Sie ahnen nicht, wie sie meiner Mutter die Hölle heiß gemacht hat!«
    Mein Vater fragte weiterhin ruhig, »Was hat sie zum Beispiel angestellt?«
    »Was sie angestellt hat? Was hat sie nicht verbrochen! Sie hat mein gesamtes Hab und Gut in Brand gesetzt. Sie hat meine Mutter geschlagen. Die arme alte Frau wäre vor Entsetzen fast tot umgefallen.«
    Mein Vater schnitt ihm das Wort, »Sie hat dein Hab und Gut in Brand gesetzt? Welches Hab und Gut? Was hat sie verbrannt? Sag es, damit ich für den Schaden aufkomme.«
    Rahim druckste ein wenig herum und sagte dann, »Nun ja, natürlich war es ihre eigene Aussteuer. Die Teppiche, das Bettzeug…«
    Mein Vater sagte, »Gut, soviel dazu. Aber nun zu deiner Mutter. Wie oft hat sie deine Mutter im Monat geschlagen?«
    Rahim sagte wie jemand, der die Missetaten eines rüpelhaften Kindes petzt, »Nur an dem Tag, an dem sie gekränkt das Haus verlassen hat.«
    Mein Vater fragte, »Nur an diesem einen Tag? So geht es doch nicht. Ich muß sie hart bestrafen und werde es auch tun. Denn hätte ich sechs, sieben Jahre unter dieser

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