Der Morgen der Trunkenheit
flüchtete mich in ihre Arme, die den Geruch der Mutter verströmten. Den Geruch von Geborgenheit und Kindheit. Ich küßte ihr Gesicht und ihre Hände. Dieselben Hände, die mich einst gezwickt hatten, doch nicht so heftig, wie sie es hätten tun sollen. Ich legte meinen Kopf auf ihre Brust, die vor Kummer meinetwegen bebte, und beruhigte mich.
Manuchehr war verstimmt. Er trat vor. Er war eifersüchtig auf mich, daß unsere Mutter mich umarmte und so liebevoll küßte. Er begann zu weinen, zwängte sich mühsam zwischen uns und setzte sich auf ihren Schoß. Meine Mutter wischte sich die Tränen ab undlachte, »Du Neidhammel! Du bist doch schon groß und ein Mann, schäm dich.«
Manuchehr deutete auf mich und sagte, »Die ist doch noch größer! Weshalb schämt sie sich nicht?« Auf diese vernünftige Bemerkung gab es keine Antwort.
Meine Schwestern trafen mit ihren Ehemännern und Kindern ein. Meine Eltern waren gealtert. Meine Mutter besaß nicht mehr ihre frühere Frische und ihren Elan. Ich wußte nicht, ob aus Altersgründen oder aus Kummer über meine Niederlage. Mein Vater war ruhiger und ausgeglichener geworden. Nozhats Ehemann war gereift, ihre Kinder waren groß geworden. Chodjasteh hatte einen Ehemann. Sie hatte eine neue, fröhliche und flinke Dienerin. Vielleicht war mein Anblick auch für sie interessant und sehenswert. Es schien, als wäre ich aus einer anderen Welt gekommen. Sobald ich mich von ihnen abwandte, musterten sie mich neugierig, gaben sich jedoch gleichgültig, wenn ich sie wieder ansah. Alle sahen würdig aus und waren korrekt und sauber gekleidet. Ich wunderte mich über ihre ruhige Art zu sprechen, ihren friedlichen Umgang miteinander und darüber, daß sie nicht schallend lachten. Ich verglich Rahim mit den Ehemännern meiner Schwestern und war vor Scham wie schweißgebadet. Einst hatte mich Chodjasteh in diesem Haus gefragt, was mir an ihm gefallen würde, und es hatte mich gekränkt. Jetzt stellte ich mir selber diese Frage und fand keine Antwort.
Nozhat hatte drei rundliche, übermütige Kinder. Sie sahen alle gleich aus, als kämen sie aus demselben Model. Sie hatte eins nach dem anderen geboren. Das erste war ein Sohn und die anderen beiden Töchter. Ihr Ehemann war nach wie vor von ihrer molligen Figur hingerissen. Aber Chodjasteh war eine richtige Dame geworden. Schlank, hochgewachsen und besonnen. Redegewandt und elegant. Ihr Verhalten und ihre Worte waren anziehend und graziös. Wenn sie Klavier spielte, war es eine Wonne. Der Duft ihres Parfüms war betörend. Sie hatte eine sechs Monate alte Tochter, zart und anschmiegsam wie eine Puppe. Meine Schwestern küßten mich voller Mitleid und Bedauern. Ihrer Ansicht nach war ich abgemagert und sah kränklich aus. Ich sollte mich pflegen und mich nicht mehr grämen. Nun sei alles vorbei, und ich sei erlöst. Ich küßte ihre Kinder, die verschämt und mit gesenkten Köpfen wieder zurücktraten.Chodjastehs Ehemann war ein vollendeter Gentleman. Das Gespräch mit ihm schenkte mir Ruhe. Höflich und liebevoll setzte er sich neben mich, ergriff meine Hand und redete tröstend und besänftigend auf mich ein, so daß ich beinahe wieder in Tränen ausgebrochen wäre. Nach und nach gewöhnte sich meine Familie wieder an mich, und ich fand wieder meinen Platz in ihrem Kreis. Nozhat zog mich beiseite und sagte, »Mahbub, du mußt dir ein paar ordentliche Kleider kaufen.«
Während der ganzen Zeit erwähnte mein Vater meinen Ehemann und unsere Ehe mit keinem Wort.
Am nächsten Morgen rief mein Vater nach dem Frühstück die Amme zu sich, »Frau Amme, morgen gehst du zu diesem Kerl und sagst ihm, daß er am Montagnachmittag eine Stunde vor der Dämmerung herkommt.« Wir wußten alle, wer dieser Kerl war.
Eine Stunde vor Anbruch der Dämmerung war ich aufgewühlt und hatte wieder Herzklopfen. Diesmal nicht aus Liebe, sondern aus Haß und Angst. Wieder war mir die Kehle wie zugeschnürt. O Herr, wie lange mußte ich noch zittern? Wie lange noch mußte ich mich grämen? Wie lange vor Aufregung einen trockenen Mund haben? Wie lange denn noch? Ich war so schwach und kraftlos, ich zitterte derart und war innerlich so leer, daß ich fühlte, ein starker Wind hätte mich fortgeweht.
Vor Einbruch der Dämmerung setzte sich mein Vater ins Fünftüren-Zimmer. Er sagte nicht, daß ich mich zu ihm setzen sollte. Es war auch nicht ratsam. Ich stellte mich hinter die Tür, genau wie an dem Tag, an dem Rahim um meine Hand angehalten hatte. Firuz setzte
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