Der Morgen der Trunkenheit
Frau gelitten, hätte ich sie täglich verprügelt. Meine Tochter muß wegen dieser Unfähigkeit bestraft werden.« Er schwieg und lächelte grimmig.
Rahim hob den Kopf und sah ihn verblüfft an. Erst in diesem Augenblick begriff er, daß mein Vater ihn verhöhnt hatte. Durch den Türspalt sah ich sein Gesicht deutlich und genau. Seine Augen waren verquollen. Zweifellos hatte er während der vergangenen zehn, fünfzehn Tage Schnaps getrunken. Er hatte die ganze Zeit benebelt verbracht. Also hatte er ebenfalls gelitten. Doch ich empfand kein Mitleid mehr mit ihm. In mir war kein Funken Mitleid. Ich genoß seine Qualen.
Mein Vater sagte wütend, »Du Kerl hast dich nicht geschämt, meine Tochter mit Fausthieben und Fußtritten derart zuzurichten? Und dann beschwerst du dich noch wegen deiner Mutter? Würde etwa ein anständiger Mann, ein geachteter Mann, ein Mann mit einem Funken Ehrgefühl im Leibe seine eigene Frau, seine Anvertraute verprügeln? Dazu noch eine wehrlose Frau, die alles aufgegeben hat, um einem liederlichen Taugenichts wie dir zu folgen? Nennt man das etwa Mannhaftigkeit? Schämtest du dich nicht, deiner Frau ihren Schmuck und ihr Geld abzunehmen, um ihr gesamtes Hab und Gut für Schnaps oder im Räuberviertel für Frauen auszugeben, die noch übler sind als du?«
Ich erstarrte hinter der Tür. Vor Erstaunen riß ich die Augen auf. Rahim tat dasselbe. Verblüfft fragte er, »Ich? Ich? Wer behauptet, ich sei ins Räuberviertel gegangen? Mahbube lügt.«
»Halt den Mund. Erwähne nicht den Namen meiner Tochter, ehe du dich nicht rituell gereinigt hast. Sie soll lügen? Sie hat keinen blassen Schimmer davon. Ich hatte angeordnet, daß man dich überwacht. Ich habe dich diese sechs, sieben Jahre beobachtet, um zu sehen, wann du dich endlich schämen würdest! Wann meine Tochter es endlich leid sein würde! Wann sie endlich von deinen Saufereien und deinem Schweinkram genug haben würde, aber du Armseliger hast diese Frau nicht zu schätzen gewußt. Du wußtest diesen Engel, den dir der Himmel geschenkt hat, nicht zu schätzen. Niemand hätte es so lange mit einem liederlichen, mittellosen Ehemann ausgehalten wie sie.«
Rahim sagte, »Wie hätte ich sie schätzen sollen? Hätte ich sie auf Händen tragen und auch noch dankbar sein sollen?«
Allmählich wurde er unverschämt. Mein Vater bemerkte es sofort und sagte, »Rede wie ein Mensch. Diese Worte waren überflüssig. Du mußt dich von meiner Tochter sofort scheiden lassen, drei Mal. Unwiderruflich. Hast du das verstanden?«
Rahim wurde kreidebleich. Ich kannte ihn nur zu gut. Er wurde bleich, wenn sein Vorteil auf dem Spiel stand, wenn er wütend wurde oder wenn er sich fürchtete. Ich kannte mich in seinen Reaktionen aus.
»Weshalb sollte ich mich von ihr scheiden lassen? Sie ist meine Frau. Ich liebe sie. Ich werde mich nicht von ihr scheiden lassen.«
»Du liebst sie? So sehr, daß du sie grün und blau geschlagenhast? Was hättest du getan, wenn sie gestorben wäre? Nun? Ich werde dir die Hölle heiß machen, damit du endlich lernst, wie ein Mann seine Ehefrau zu behandeln hat. Denk bloß nicht, daß meine Tochter dann in dein Haus zurückkehren würde!… Nein, sondern nur, damit du zur Räson kommst. Damit du eine andere Unglückselige, die später einmal auf dich hereinfällt und diese Hölle betreten wird, nicht ebenso behandelst. Damit es dir eine Lehre ist.«
Dreist erwiderte er, »Na und, alle Ehepaare streiten sich und reden nicht mehr miteinander! Anstatt ihr gut zuzureden, daß sie in ihr Heim zurückkehrt, schüren Sie das Feuer? Mahbube begehrt mich, ich weiß es. Ich begehre sie ebenfalls. Ich laß mich nicht scheiden.«
Mein Vater rief, »Mahbub, komm mal herein.«
Ich trat mit erhobenem Kopf ein, stolz und gleichgültig, in meinem neuen Kleid aus Crêpe de Chine, das ich mit der Amme gekauft hatte, mit Zobelfellschuhen, sorgfältig frisiert, geschminkt und parfümiert, ohne den Tchador. Ich wollte an diesem Tag absichtlich hübsch, elegant und makellos sein. Ich wollte, daß er mich noch einmal und zum letzten Mal voll und ganz zu sehen bekam. Vor Erstaunen sperrte er den Mund auf und starrte mich eine Weile fassungslos an.
Er erhob sich ruhig von seinem Platz und sagte, »Salaam.«
Ich antwortete nicht. Wie eine Dame, die ihrem Diener begegnet. Für ihn empfand ich nur Überlegenheit und Rache. Ich ekelte mich vor der Vorstellung, daß er einst meinen Körper berührt hatte. Ich ekelte mich vor ihm, vor mir, am meisten
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