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Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
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die Dar ol-Fonun Schule. Er war ein strebsamer, talentierter Schüler und genoß das Lernen. Mein Vater hatte die Kosten für seine Ausbildung übernommen. Er hatte versprochen, ihn zu unterstützen, solange er lernte.
    Nachts, wenn ich mit Esmat Chanum allein war, machte ich meinem Herzen Luft, »Esmat Chanum, ich bekomme kein Kind mehr. Ich will mich behandeln lassen. Ich weiß nicht, ob es nützen wird?«
    »Weshalb sollte es nicht nützen, meine Liebe. Inshallah wird es nützen. Aber quäl dich nicht zu sehr. Wozu willst du Kinder? Du bist doch selbst noch ein halbes Kind. Bei Gott, Kinder sind nur eine Last. Möge Gott allen, die welche haben, sie erhalten. Aberwenn sich die, die keine haben, deswegen grämen sollten, sind sie wirklich töricht.«
    »Esmat Chanum, ich bin eine dieser Törichten. Ich gräme mich nicht. Dazu ist es zu spät. Ich bin nur mutlos. Ich bin lädiert. Ich bin unfruchtbar geworden. Ich kann keine Kinder mehr bekommen, und das nur wegen dieses üblen Kerls.«
    Esmat Chanum bückte sich zu mir herab, küßte mich auf den Kopf und wischte mir die Tränen fort. Was mich an diesem Heim begeisterte, war seine Ruhe, Reinlichkeit und seine Ordnung. Was mich zu dieser liebevollen Frau, ihrem Bruder und ihrem Sohn hinzog, war der Friede, der in ihrem Haus herrschte. Anfangs wunderte ich mich, daß frühmorgens niemand im Hof mit den Schuhen schlurfte. Ich war erstaunt, daß niemand lauthals meckerte oder daß sie einander nicht keifend riefen. Weshalb veranstaltete man in diesem Viertel nachts nicht Zeter und Mordio, so daß die Toten sich im Grabe umdrehten? Anfangs war ich jedem und allem gegenüber mißtrauisch. Das Mißtrauen hatte mir dieses verfluchte Haus beschert. Ich mißdeutete jedes Wort und jede Gebärde. Hinter jeder Geste vermutete ich eine böse Absicht. Lächelte Esmat Chanum ihren Sohn an, so glaubte ich, sie würde sich über mich mokieren. Begrüßte Hadi mich nicht sofort, sagte ich mir, er wünsche sich, ich würde das Haus bald verlassen, damit sie sich wieder ausbreiten konnten. Langte Hassan Chan vor meinen Augen in seine Jacke und gab Esmat Chanum Geld, damit sie Hadi zum Einkauf von Zucker, Tee und Tabak schickte, so glaubte ich, sie erwarteten insgeheim Kostgeld von mir. Allmählich beruhigte ich mich jedoch. Ich gewöhnte mich wieder an ein normales Leben. Ich wurde wieder mit den guten Sitten aus der Vergangenheit vertraut. Die erlernte Schlechtigkeit fiel von mir ab. Endlich gelang es mir, mich aus dem Sumpf zu ziehen. Die Bedeutung des Lebens zu begreifen. Zu begreifen, daß eine Frau bei einsetzender Dämmerung nicht vor Furcht zu zittern braucht, wenn ihr Ehemann von seiner Arbeit zurückkehrt. Esmat Chanums Zuwendung und die Liebenswürdigkeiten ihres Sohns und ihres Bruders heilten nicht nur mein zerschundenes Gesicht und meine verschwollenen Lippen, sondern besänftigten auch mein müdes Herz. Ich kam zur Ruhe. An einigen Abenden spielte Hassan Chan mit unserer Zustimmung gedämpft auf der Tar. Obwohl er, wie ich wußte, dem Wein zugeneigt war, sahich ihn während meines Aufenthalts in diesem Haus kein einziges Mal in meiner Gegenwart daran nippen.
    Am Sonntag, dem vierten Tag, kam mein Vater und begutachtete mich. Die Schwellung meiner Lippe war zurückgegangen, und mein geschundenes Gesicht hatte sich gelblich gefärbt. Er sagte, »Jetzt ist kaum noch etwas davon übrig. Es geht dir schon wesentlich besser. Ich werde dich Freitagmorgen abholen.«
    Ich sagte, »Agha Djan, weiß meine Chanum Djan Bescheid?«
    »Nein, ich habe es niemandem gesagt. Donnerstagabend werde ich sie schonend darauf vorbereiten.« Esmat Chanum war nicht im Zimmer. Beschämt senkte ich den Kopf und sagte, »Werden Sie ihr erzählen, wo ich während dieser Zeit gewesen bin?«
    »Es bleibt mir nichts anderes übrig. Was sollte ich ihr sonst sagen?«
    Vielleicht würde es das erste und letzte Mal sein, daß mein Vater Esmat Chanums Namen und den ihres Bruders in unserem Haus meiner Mutter gegenüber erwähnen würde, und das nur meinetwegen. Wegen meines Eigensinns und meiner Sturheit. Wegen meiner Verfehlung.
    Bis zum Morgen des Freitags war ich um meine Mutter bekümmert. Frühmorgens schreckte ich oft aus dem Schlaf, wälzte mich stundenlang in meinem Bett und zerbrach mir den Kopf. Mein Leben zog wie auf einer Filmleinwand an mir vorbei. Am Ende war ich schweißgebadet und konnte es nicht länger ertragen. Ich setzte mich ruckartig auf, stützte den Kopf in die Hände und sagte mir,

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