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Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
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Augen.
    »Wie hübsch du geworden bist, Mahbub!«
    Ungerührt erwiderte ich, »Für solches Gerede ist es zu spät.«
    Verzweifelt sah er um sich und sagte, »Du gehst? Ohne Abschied?«
    Ich sagte, »Du hast dich ja in der letzten Nacht gründlich von mir verabschiedet!«, und fügte hämisch hinzu, »Übrigens, wie geht es deiner Mutter?«
    »Ich hab sie zum Haus des Cousins geschickt.«
    »Ach nein? Das ist dir sechs Jahre zu spät eingefallen.«
    »Komm und sei doch vernünftig, Mahbub. Kehr in dein Heim zurück.«
    Ich sagte, »Nein, ich werde mich nicht mehr übertölpeln lassen. Darauf kannst du lange warten.«
    »Liebst du mich nicht mehr, Mahbub?«
    Ich schwieg. Ich dachte über seine Frage nach. Ich erforschte mein Herz und fand endlich die Antwort, »Nein. Du selbst hast es nicht zugelassen. Dein übler Charakter hat dein Äußeres überdeckt.«
    Ich stand nach wie vor kalt und abweisend vor ihm. Er hob den Kopf und sah mich flehentlich an, »Ich weiß, daß ich dir Unrecht getan habe. Aber ich schwöre bei Gott, daß ich es bereue. Es war auch deine Schuld. Du tatest alles, was ich verlangte. Du hast immer zurückgesteckt. Du verhieltst dich so, daß ich dachte, du würdest mich so sehr lieben und begehren, daß ich mich um dich nicht zu kümmern bräuchte. Jetzt begreife ich, daß ich mich irrte. Ich werde Buße tun, Mahbube Djan, ich werde Buße tun.«
    Ich grinste höhnisch. Ich genoß das Gefühl von Macht und Überlegenheit.
    »So, so… Des Wolfes Buße ist der Tod. Sowie ich zurückkehre, wirst du deinen Laden wieder in einen Treffpunkt für Frauen verwandeln, die laut meinem Vater schlimmer sind als du.«
    »Ich verspreche es. Ich habe einen Fehler gemacht. Laß mich deine Hand küssen. Du selber hast mich verhätschelt. Ich sagte mir, ›Als ich weder Haus noch Laden besaß, hat sich eine Frau wie Mahbube in mich verliebt. Ist mir nachgelaufen. Rührte sich nicht von der Schwelle meiner Ladentür. Also werde ich vermutlich jetzt, wo… jetzt, wo…‹«
    »Was sollte jetzt sein? Jetzt, wo du zwei Hemden mehr am Leib trägst?«
    »Sag, was du willst. Ich dachte, ich würde noch eine wie dich ergattern. Eine bessere als dich. Ich war sehr naiv. Ich dachte, du bist unbedarft. Du würdest nichts mitbekommen. Ich sag die Wahrheit. Es war deine Schuld. Du hast mich verhätschelt. Und ich war halt jung. Ich hatte doch nicht hundert Jahre auf dem Buckel. Bei Gott, du bist mir ebenfalls etwas schuldig. Laß mich jetzt deine Hand küssen.«
    Ich sagte, »Du hast recht. Ich bin dir ebenfalls etwas schuldig,und zwar ganz dringend schuldig. Jetzt ist es an der Zeit, diese Rechnung zu begleichen. Seit sechs oder sieben Jahren will ich dir diesen Dienst erweisen.«
    Ich hob die rechte Hand und schlug sie ihm mit aller Kraft blitzschnell ins Gesicht. Der Schlag war so stark, daß sein Kopf nach rechts gerissen wurde. Sein zerzaustes Haar wogte auf und ab und fiel ihm zitternd wieder in die Stirn. Meine Handfläche schmerzte von der Wucht des Schlags und der Rauheit seines Barts. Sie brannte und kribbelte. Einen Augenblick lang verharrte er in diesem Zustand. Dann beugte er den Kopf herab. Er nahm meine Rechte, führte sie an seine Lippen und küßte sie. Meine Hand wurde heiß. Waren es etwa seine Tränen, die auf meinen Handrücken tropften? Barsch entriß ich ihm meine Hand. Es waren keine Tränen. Meine Hand war von dem Blut, das ihm aus der Nase tropfte, feucht geworden. Voller Abscheu und Rachsucht wischte ich mir die Hand an meinem Rockzipfel ab. Er hob den Kopf und sagte, »Du hast mein Blut vergossen, Mahbub. Bist du nun zufrieden? Hast du nun dein Mütchen gekühlt?«
    Ich hatte mein Mütchen an ihm gekühlt, aber doch nicht ausreichend. Der Abdruck meiner fünf Finger hatte sich auf dem Gesicht eingeprägt, für das ich, hätte man ihm nur eine Schramme zugefügt, einst vor Kummer und Sehnsucht eingegangen wäre. Jetzt starrte ich auf den Hals und die sich abzeichnende Ader, für die ich einst mein Dasein geopfert hätte und gestorben wäre, wenn ich sie hätte küssen können. Was fürchtete ich den Tod! Aber jetzt?…
    Ich sagte, »Nein, ich bin noch nicht zufrieden. Ich wäre dann zufrieden, wenn ich diese unverschämte Ader mit einer Klinge durchschneiden könnte. Ich hätte dann mein Mütchen gekühlt, wenn dieses Blut aus deinem Hals geflossen wäre.«
    Er packte erneut mein Handgelenk und bettelte, »Ich liebe diese Tigerin, Mahbube, diese Tigerin in dir. Nicht das fügsame, hilflose Lamm, das

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