Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
Vom Netzwerk:
ich zu Hause hatte. Laß dich nicht scheiden, Mahbube Djan. Tu’s nicht. Ich würde zugrunde gehen.«
    Zornig und siegessicher lachend antwortete ich, »Also war ich in deinen Augen ein hilfloses Lamm? Ist eine Frau nur dann ein hilfloses Lamm, wenn sie nachgiebig ist?« Ich entzog ihm meine Hand und sagte, »Laß mich in Ruhe. Fahr zur Hölle.«
    Jammernd sagte er hinter mir, »Mahbub, Mahbub Djan, wiebringst du es nur übers Herz?« Und als ich die Tür hinter mir schloß, »Du Undankbare.«
    Seither habe ich mein Lebtag für niemanden mehr solch eine brennende und verzehrende Liebe und solch bitteren Haß empfunden.
    Am übernächsten Tag war ich geschieden. Rahim hatte mein Haus geräumt und Firuz Chan den Schlüssel ausgehändigt. Ich befahl, man solle es verschließen. Ich konnte den Anblick dieses Hauses nicht mehr ertragen. Man würde später sehen, was mit ihm geschehen sollte.
    Mein Vater saß im Fünftüren-Zimmer, und ich, die ich die Urkunde unterschrieben hatte, betrat das Zimmer. Wie am Tag meiner Trauung hatte er seinen Kopf an die Rückenlehne des Sessels gelehnt und die Füße in die Mitte des Zimmers gestreckt. Seine Handgelenke lagen auf den Armlehnen und seine Hände hingen herab. Durch die linke Hand ließ er ein Tasbieh gleiten. Ich trat vor und sagte, »Es ist vorbei, Agha Djan. Ich bin erlöst.«
    Ich kniete mich neben den Sessel und küßte seine rechte Hand. Er strich mir liebevoll über den Kopf. Eine Weile lang streichelte er mein Haar und murmelte dann sanft, »Jetzt bist du wieder meine Tochter.«
    Das war alles. Fortan hörte ich weder aus seinem Mund noch aus dem Mund der anderen ein Wort des Tadels. Mein Vater hatte es verboten.
    »Mahbub Djan, wohin gehst du? Nimm mich auch mit«, »Mahbub Djan, heute nacht schlaf ich bei dir«, »Nein, Mahbub Djan soll mich umziehen.«
    Manuchehr hing wie eine Klette an mir. Er war nicht von mir zu trennen. Mittlerweile war ich ihm vertraut. Er hatte sich in meinem Herzen eingenistet. Stand ich, kam er angerannt und umklammerte meine Beine. Ging ich, folgte er mir wie ein Schatten. Er war mein Sohn geworden. Mein Bruder. Mein Goldstück. Ich lachte und sagte scherzend, »Manuchehr, klammerst du schon wieder?«
    Ich kitzelte ihn, und er krümmte sich vor Lachen. Setzte ich mich, sprang er von hinten auf mich und küßte mich mit seinen feuchten Lippen ab. War ich in Gedanken versunken, kam er zu mir und spielte an mir herum. Ich sagte, »Laß mich in Ruhe, Manuchehr. Heute abend hab ich wirklich keine Lust!«
    Sofort begriff er, daß ich nicht scherzte, sondern die Wahrheit sagte. Dann ließ er sich ruhig neben mir nieder, beobachtete mich verstohlen und verzog den Mund, als wolle er gleich weinen. Ich sagte, »Manuchehr Djan, geh und spiel. Gleich wird es meinem Kopf besser gehen.«
    Er sagte, »Ich hab auch Kopfschmerzen und keine Lust zu spielen.«
    Alle Augenblicke sah er mich an und fragte, »Geht es dir jetzt gut, Schwesterchen? Geht es dir jetzt besser?« so daß ich lachen mußte und die Arme öffnete.
    »Wie hartnäckig du bist, Kind.«
    Er sprang mir auf den Schoß und lachte lauthals.
    Ich war seine Mutter geworden, seine Amme und seine Lehrerin. Und seine kleine Existenz schenkte mir Ruhe und Frieden.
    Alle kamen mich besuchen. Tante Keshwar musterte mich neugierig vom Scheitel bis zur Sohle. Die Frau des Onkels, die ebenso siegessicher wie betrübt lächelte, sah mich tadelnd und mitleidig an. Die Tante mütterlicherseits, deren kurzbeiniger Sohn ein Mädchen mit noch kürzeren Beinen geheiratet hatte, verzehrte sich vor Neid über Chodjastehs glückliche Heirat und vor Kummer über die Sucht ihres anderen Sohns, die seine äußere Erscheinung und ihr Leben verfinstert hatte. Und meine leidgeprüfte Mutter empfand Schadenfreude.
    Alle kamen, bis auf Mansur. Mansur und seine Frau, von der es hieß, sie sei im sechsten Monat schwanger. Ich beschwerte mich keineswegs. Ich erwartete es nicht. Er hatte recht. Ich hatte ihm übel mitgespielt. Außerdem dachte ich nicht weiter an ihn. Der Winter war gekommen und das Gesetz zum Ablegen des Tchadors in Kraft getreten. Wir waren alle viel zu sehr mit diesem unerwarteten Ereignis beschäftigt, als daß wir uns über die Besucher den Kopf zerbrachen. Nach wie vor wurde um meine Hand angehalten. Es waren alles geachtete, aber meist ältere Männer, die geschieden oder verwitwet waren oder ältere, verbrauchte Frauen hatten und ausnahmslos kleine oder größere Kinder im Schlepptau hinter sich her

Weitere Kostenlose Bücher