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Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
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Anblick ist eine Wonne. Meinst du, Manuchehr hätte von ihr abgelassen? Er wollte sie nach Hause mitnehmen. Er hat sie so oft abgeküßt und an sich gedrückt, daß das Baby zu weinen begann. Und Ihre Mutter hat ihm kräftig auf die Hand geschlagen.«
    »Was hat Nimtadj Chanum gesagt?«, fragte ich.
    »Nichts. Die Ärmste hat es sich überhaupt nicht anmerken lassen. Ständig sagte sie, ›Er ist doch noch ein Kind. Lassen Sie ihn mit ihr spielen.‹ Aber es war offensichtlich, daß sie ganz unruhig war.«
    »Wie soll sie heißen?«
    »Mansur Agha will sie Nahid nennen.«
    Wieder kam das Neujahr. Ein Neujahr, das für mich ein richtiges Fest bedeutete. Die gewohnte Aufregung wie früher. Dieselbe Freude beim Kuchenbacken, die ich vergessen hatte. Derselbe Frühjahrsputz, Einkaufen gehen und Tchahar Shanbeh Ssuri wie vor sieben Jahren. Wie vor der Zeit, in der ich Unheil über mich gebracht und mich selber ins Unglück gestürzt hatte. Nozhat samt Ehemann und Kindern, Chodjasteh, der Doktor und ihre Tochter kamen uns zu Tchahar Shanbeh Ssuri besuchen. Meine Mutter lud auch meine Tante und mein Onkelchen mit ihren Töchtern ein, wovon eine verheiratet und die andere verlobt war. Mansur, der ebenfalls eingeladen war, kam mit seinen beiden Söhnen, Nimtadj Chanums Sohn und dem Sohn der seligen Ashraf.
    Er war sehr höflich und formell, ja, er wirkte beinah abweisend. Er begrüßte mich und erkundigte sich nach meinem Wohlergehen. Offenbar war er mir immer noch böse. Sein Gesicht war wie das aller anderen Familienmitglieder gereift. Er war elegant und geschniegelt, höflich und zuvorkommend wie gewohnt, aber er war stiller geworden. Ernst und steif. Ich lärmte mit den Cousinen, Schwestern und den Kindern. Wir sprangen über das Feuer. Ich nahm Manuchehr auf den Arm und hüpfte mit ihm über das Feuer. Ich packte den Doktor an der Hand und zwang ihn, drüber zu springen. Nozhats Ehemann fürchtete sich, seinen Anzug zu versengen. Dann sprang ich mit seinen beiden Söhnen einzeln über das Feuer. Mein langes Haar flatterte mir um Gesicht und Schultern. Mein Gesicht wurde vom Feuer erhellt und war gerötet. Ich trug einen Faltenrock und eine warme Bluse. Ich fühlte mich frei und unbeschwert. Mansur hatte die Arme vor der Brust verschränkt und stand mürrisch vor der Mauer des Hauses. Der Widerschein desFeuers erhellte auch sein Gesicht. Gleichgültig betrachtete er mich, die Kinder und seine und meine Schwestern und wechselte gelegentlich ein paar Worte mit seinen oder meinen Schwägern. Während der ganzen Zeit hatte er nicht ein einziges Mal gelächelt.
    Müde und keuchend ging ich beiseite. Mein Onkelchen nahm meinen Kopf in seine Hände und küßte mich. Ich wußte, daß er mich sehr lieb hatte. Er sagte, »Wenn du lachst, geht mir das Herz auf.«
    Dieses Neujahr war mein schönstes.
    Nozhat sagte, »Onkelchens Frau hat alle zu Ssizdah Bedar zu sich in den Garten in Shemiran eingeladen, damit Nimtadj Chanum dabei sein kann.«
    Lustlos erwiderte ich, »Ich komm nicht mit. Wozu sollten wir uns auf den beschwerlichen Weg bis nach Shemiran machen?«
    Nozhat lachte, »Na gut, dann komm halt nicht. Da gibt’s doch nichts zu streiten. Wohin sollten wir sonst gehen?«
    »Wir fahren zu Agha Djans Garten, nach Gholhak.«
    Wir fuhren nach Gholhak. Meine Amme hatte ein Tamburin mitgebracht. Nozhat und Chodjasteh waren mit ihren Familien gekommen, und die Cousinen hatten meinetwegen auf den väterlichen Garten verzichtet und waren ebenfalls nach Gholhak gekommen. Alle wollten mit mir zusammensein, und ich wollte in ihrer Mitte sein.
    Meine ältere Cousine sagte, »Mahbub, du bist dünner geworden und noch gewachsen. Ich finde, du bist sehr grazil geworden.«
    Nozhat zog sie auf und sagte, als würde ich nicht neben ihnen sitzen oder als würde sie über einen Gegenstand sprechen, »Jetzt begreife ich endlich, was grazil bedeutet. Sie hat nicht mal die Kraft zu atmen. Umfaßt man ihre Taille mit den Händen, berühren sich die Fingerspitzen. Ich meine ja, sie sollte sich ein bißchen um ihre Ernährung kümmern, statt sich dauernd Kleider, Schuhe und Parfüm zu kaufen. Als hätte man die rundliche Mahbube von vor Jahren mitgenommen und statt ihrer diese hier zurückgebracht.«
    Wie wahr, daß jene Mahbube verschwunden war. Sie war gestorben.
    Ich machte mich mit meinen Schwestern, Cousinen und den Kindern zu einem Spaziergang auf. Wir zogen die Schuhe aus undstiegen in den Bach. Ein sprudelnder Bach, der sich kühl und

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