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Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
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Mittag, als wir das kleine Zimmer zum Frühstücken verließen. Der Samowar hatte aufgehört zu blubbern. Ich nahm ein Stück vom Ssangak-Brot. Es war knusprig. Doch der Käse war alt. Er roch nach Schimmel.
    »Rahim, der riecht doch schimmlig.«
    Er sagte, »Laß mich mal sehen.« Er roch an dem Käse, »So ein guter Käse! Ich hab ihn heute morgen selbst gekauft. Wo riecht der nach Schimmel? Iß und zier dich nicht so.«
    Ich lachte. »Hätten wir doch bloß auch etwas Käse aus meinem Elternhaus mitgebracht.«
    »Käse ist Käse. Welchen Unterschied gibt es da schon?«
    Drei, vier Tage lang ging er nicht zur Arbeit. Dennoch war er hingegangen und hatte sich den neuen Laden angeschaut.
    Ich sagte, »Rahim Djan, gehst du nicht zur Arbeit?«
    Er sagte, »Scheuchst du mich aus dem Haus?«
    »Ach, nein, um Gottes willen. Aber was wird aus deinem Geschäft?«
    »Zunächst muß ich Ausrüstung kaufen. Ich habe kein Werkzeug. Aber mit Gottes Hilfe wird es schon gelingen.«
    Ich rannte in unser Schlafzimmer und kehrte zurück, »Komm, nimm diese vierundfünfzig Tuman. Mein Agha Djan hat sie mir gegeben. Reicht das für den Anfang?«
    »Es reicht schon, doch behalte dein Geld für dich. Dein Agha Djan hat es dir gegeben.«
    Ich sagte, »Da gibt es doch kein du oder ich. Sobald dein Geschäft läuft, zahlst du es mir doppelt zurück.«
    Er lachte und schob mir das Geld zu. Ich blieb beharrlich, und er widersetzte sich. Zum Schluß nahm ich das Geld und sagte, »Wenn du das Geld nicht annimmst, werfe ich es in den Ofen.«
    Meine Miene war so entschlossen, daß er sagte, »Eine Widerspenstigere als dich habe ich noch nicht erlebt, Mädchen.« Er nahm mir das Geld aus der Hand und drückte sie so kräftig, daß ich vor Schmerz und Freude aufschrie. Er küßte meine Finger.
    Nach einer kleinen Pause fragte ich skeptisch, »Rahim, denkst du nicht ans Militär?«
    »Ans Militär?«, fragt er erstaunt.
    »Ja, willst du nicht zum Militär? Wolltest du denn nicht Offizier werden?«
    Plötzlich erinnerte er sich, »Doch, doch, natürlich…« Er dachte ein wenig nach und fügte hinzu, »Aber zunächst muß ich das Geschäft einrichten, um mir deswegen keine Sorgen mehr machen zu müssen. Dann werde ich jemanden einstellen, der meine Stelle dort übernimmt…« Er lachte schalkhaft, »Ja, ich werde einen Lehrling einstellen. Einen Schreinerlehrling. Allerdings nur, falls er sich nicht als Dauerverliebter erweist. Und dann gehe ich zum Militär.«
    Wir lachten beide.
    Mit der Führung eines Haushalts kannte ich mich nicht aus. Arbeiten hatte ich nicht gelernt. Am schlimmsten war, daß ich nicht wußte, wie man einkauft. Ich schämte mich, das Lebensmittelgeschäft, die Metzgerei und die Bäckerei aufzusuchen. Morgens stand er früh auf. Er kaufte Brot und heizte den Samowar an, dann wusch er, bis ich das Bettzeug aufgeräumt hatte, das Geschirr ab. Ich schämte mich noch mehr. Ich wollte nicht meinen Ehemann das Geschirr abwaschen lassen. Ich wünschte mir, wir hätten eine Dienerinund einen Diener. Doch das kam nicht in Frage. Das Leben zeigte sich von seiner wahren Seite. Leben bedeutete nicht nur Qamars Gesang. Nicht nur Hafis oder Leili und Madjnun . Nicht den Austausch von Briefen über die Mauer. Es gab keine heimlichen und verliebten Blicke und keine quälenden Seufzer mehr. Sondern es bedeutete auch dies: Brot, Fleisch und Wasser. Schwitzen und Geld verdienen. Sich abmühen und den Haushalt führen. Waschen, kochen und fegen. Dennoch war das Leben an seiner Seite schön. Einfach und anspruchslos.
    Wenn er mich in der Küche, jener dunklen, unterirdischen Küche, beim Vorbereiten des Mittagessens sah, sagte er, »Du gleichst einer Perle, die in eine Kohlengrube gefallen ist.« Oder, »Bereite kein Mittagessen zu, Mahbube Djan. Wir essen kalt. Schade um deine Hände. Ich will nicht, daß sie verunstaltet werden.«
    Das munterte mich auf. Ich erzählte ihm nichts von den Mühen der Arbeit. Er erlaubte mir unter keinen Umständen das Geschirr abzuwaschen. Wann immer er von der Arbeit zurückkehrte, wusch er nach der Mahlzeit das gesamte Geschirr ab. Er sagte immer, ›Deine Hände leiden. Du kriegst einen Buckel.‹ Dennoch begriff ich erst jetzt, was es bedeutete, den Hof zu kehren, Essen zu kochen und das Haus zu putzen. Jede noch so geringfügige Hausarbeit verrichtete ich angestrengt und widerstrebend. Ich litt unter dem Lärm der Kinder aus dem Viertel und den lautstarken Gesprächen der Nachbarn. Mein Elternhaus war so

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