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Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
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geschenkt habe.«
    Mir war, als hätte man mir eine Schüssel kaltes Wasser über den Kopf gegossen. Ich fror. Mir wurde schwach. Ich beherrschte mich, daß mir kein Seufzer entfuhr. Eine Weile herrschte Grabesstille. Beschämt fuhr er leise fort, »Ich wollte sparen und ihr das Geld zurückgeben. Doch meine Mutter sagt, es geht nicht. Die Betreffende fordert ihre Ohrringe zurück… Mahbub, ich werde dir statt dessen schönere kaufen.«
    Ich war bestürzt. So einen Tag hatte ich nicht mal im Traum für möglich gehalten. Dennoch bedauerte ich ihn. Als würde sein Stolz wie eine Kerze dahinschmelzen und zu Boden tropfen. Ich legte ihm die Hand aufs Knie, »Rahim Djan, ich will dich, nicht die Ohrringe. Weshalb hast du es nicht früher gesagt? Ich bringe sie dir sofort.«
    Ich stand auf und rannte in das Zimmer, das unser Schlafzimmer und unsere Abstellkammer war, brachte die Ohrringe und den Armreif, den mir seine Mutter gegeben hatte, und reichte sie ihm. Er sagte, »Weshalb den Armreif? Der gehört meiner Mutter. Das Geld dafür werde ich ratenweise zurückzahlen.«
    Ich roch den Braten. Also hatte seine Mutter auch den Armreif verlangt. Die Frau, die mich von morgens bis abends umschmeichelt hatte. Dieselbe, die ich an Mutters Statt annehmen wollte, hatte sich als dermaßen heimtückisch erwiesen. Ich sagte, »Also hat deine Mutter den Armreif ebenfalls verlangt! Nimm alles und gib es zurück.«
    Er erhob sich von seinem Platz, stellte sich ans Fenster und sagte, »Nun ja, sie sagt, ›Es sind Andenken an meinen Ehemann. Ich habe sie dir gegeben, um dein Ansehen zu wahren. Es war nötig, daß ich deiner Frau bei der Trauung etwas schenke‹ ...« Erneut legte er eine Pause ein und fügte hinzu, »Wenn sie dir gefallen, gebe ich meiner Mutter statt dessen das Geld. Ich zahle es in Raten zurück.«
    Alles Gold und Geschmeide waren mir mit einem Mal zuwider. Ich sagte, »Nein, Rahim. Nimm sie und bring sie hin. Ich will nichts von dir. Ich hab dich doch nicht wegen Gold und Schmuck geheiratet.«
    Abermals setzte er sich auf das Sims am Fenster und ergriff meine Hände, »Mahbube, ich stehe in deiner Schuld…«
    Ich legte ihm die Hand auf den Mund. Für mich war der Winkel dieses kleinen Zimmers die Welt. Ich sagte, »Nein, sag nichts, Rahim. Sag so etwas nicht. Geschenkt.«
    Er küßte meine Handfläche und sagte, »Ich werde diese kleinen Handgelenke mit goldenen Armreifen überhäufen. An diese zarten Ohren Diamantohrringe hängen. Um diesen weißen Hals ein Kollier legen. Du wirst schon noch sehen, Mahbube. Eines Tages, wenn ich reich geworden bin, werde ich es tun, und wenn ich dafür Tag und Nacht schuften müßte. Wetten, daß? Du wirst schon sehen. Laß dieses Jahr vorbeigehen. Laß diesen Laden ein wenig in Ordnung kommen… Ich werde zum Militär gehen, Mahbub Djan. Ich tu alles, was du verlangst.«
    Ich zerfloß vor Freude. Vor Entzücken fiel ich ihm um den Hals. Zum Teufel mit dem Armreif, zum Teufel mit den Ohrringen…Es schien, als würde die gesamte Welt aus Augen bestehen und mich anstarren. Ich hatte mir den Gesichtsschleier übergezogen und ging die Gasse entlang. Kinder, schmutzige und saubere, waren hier und da über die Gasse verstreut. Das Leben nahm seinen üblichen Gang, das Hin und Her der Karren und Droschken, die fahrenden Händler und die Hausfrauen, die einkaufen gingen, die gewöhnlichen Passanten und die Geschäftsleute bei ihrer täglichen Arbeit, beim Palavern mit den Kunden oder mit den Lehrlingen. Manche saßen auch vor Langeweile in der prallen Sonne und klaubten sich die Läuse vom Hemdkragen. Und ich, die Tochter von Bassir ol-Molk, ging mutterseelenallein und zu Fuß mit einem Korb in der Hand zum Lebensmittelgeschäft, zur Metzgerei und zum Gemüsehändler. Rahim wollte ich nichts von meinem Kummer erzählen, damit er sich nicht sorgte. Ich wollte ihm eine vorbildliche Ehefrau sein. Ich sagte, »Salaam, Agha, haben Sie Kräuter für Ssabzi-Pilav?«
    Der Gemüsehändler sah mich erstaunt an und sagte in ordinärem Ton, »Is das hier etwa Unkraut?«
    Was für ein unverschämter Taugenichts. Was war das für eine Art zu reden? Am liebsten hätte ich mich umgedreht und wäre gegangen. Doch wir hatten kein Mittagessen. Wenn ich es nicht hier kaufte, wo sonst? Er war der einzige Gemüsehändler im Viertel. Ich würde stets mit ihm zu tun haben. Vom Metzger verlangte ich zwei Kilo Fleisch. Er fragte, »Hast du Gäste, Schwester?«
    Nein, wir hatten keine Gäste. Es gab nur Rahim und

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