Der Morgen der Trunkenheit
bin. Wie gut, daß ich hier bin. Die Salontür wurde geöffnet und geschlossen. Wie öde das Leben in meinem Elternhaus war, wie fade. Die Tür des Zimmers, in dem ich saß, öffnete sich. Mein Elternhaus entfernte sich. Ich vergaß alles.
Rahim stand in der Tür. Er hatte sich an den Türrahmen gelehnt. Mit der Linken hob er das Windlicht empor, das er aus dem Hof mitgebracht hatte. Ich saß immer noch da, senkte jedoch nicht den Kopf. Das Licht der Lampe, das auf sein Gesicht fiel, erhellte es mehr als zur Hälfte. Seine Locken fielen ihm in die Stirn, und die eine Hälfte war heller als die andere. Das Licht beschien ihn und erhellte seinen Hals und seine Brust, die aus dem offenen Hemd hervorsah. Ich betrachtete seine dunkle Haut und die Adern, die unter den Muskeln hervortraten. Ich war verzaubert. Als betrachtete ich eine Statue oder ein Gemälde, das ich zu einem hohen Preis mit Mühe erstanden hatte. Er faszinierte mich. Es war kein Verlust. Ich hatte eine gute Wahl getroffen.
Das gewohnte anziehende und verschmitzte Lächeln lag auf seinen Lippen, und er sagte, »Endlich…« Ich senkte den Kopf. Er sagte, »Nein, laß mich dich ausführlich anschauen.«
Wieder hob ich den Kopf und lächelte.
Er stand dort und musterte mich gründlich. Leise sagte er, »Weißt du, was ich all die Nächte durchgestanden habe, in denen du ruhig geschlafen hast?«
Erstaunt sagte ich, »Ruhig geschlafen?« Unwillkürlich streckteich die Hände nach ihm aus und fuhr fort, »Jede Nacht waren meine Hände zum Himmel erhoben. Ich flehte zu Gott. Ich flehte ihn an, ›Gib ihn mir. Führ ihn zu mir.‹«
Behutsam trat er ein und schloß die Tür. Er stellte das Windlicht auf das Sims der Wandnische zwischen die beiden Lampen mit tulpenförmigen Glasschirmen. Sitzend wandte ich mich ihm zu. Als spräche er mit sich, sagte er, »Ich begreife ja nicht, was ich getan habe! Welch gutes Werk ich in Gottes Namen vollbracht habe, daß er mir dich als Belohnung schenkt. Noch immer schwindelt mir. Als würde ich träumen. Ich fürchte zu erwachen. Was ist bloß geschehen, daß du mir vom Himmel in den Schoß gefallen bist, Mahbube? Daß du jeden Tag wie der Vollmond in meinem dunklen Laden erschienen bist! Daß du mir den Atem geraubt hast, Mädchen?«
Nach langen Monaten schloß ich fröhlich die Augen und lachte aus ganzem Herzen.
Tantchen verstummte. Sie war seelisch und körperlich erschöpft. Sudabeh erhob sich leise von ihrem Platz. Sie ging in die Küche, um ein Glas Milch aufzuwärmen, Honig hineinzugeben und es der Tante zu bringen. Sie zögerte es absichtlich hinaus, damit sich die alte Frau ausruhen konnte. Es war fünf Uhr geworden. Als sie zurückkehrte, war Tantchen auf dem Sessel eingenickt. Sudabeh stellte das Milchglas auf den Tisch und starrte bekümmert in den Garten.
Tantchen schreckte hoch. Sudabeh reichte ihr das Glas Milch, »Trinken Sie, Tantchen. Falls Sie müde sein sollten, können Sie den Rest der Geschichte morgen früh weitererzählen.«
»Nein, mein Liebes, ich bin nicht müde. Es sind ja nicht die Geschichten aus Tausendundeiner Nacht, daß ich sie dir jeden Tag erzählen würde. Nur heute abend bin ich in der Laune und habe Verlangen danach.«
Sie verstummte und murmelte bekümmert, während sie die Milch Schluck für Schluck trank, als spräche sie mit sich, »Wenngleich sie sich kaum von Tausendundeiner Nacht unterscheidet.«
Tantchen reichte Sudabeh das Glas und fuhr fort.
Zweites Kapitel
W o bin ich? Ist es schon Morgen? Der Samowar gluckerte. Ich bin müde. Die Sonne steht hoch. Wie hell es ist. Der Duft von frischem Brot. Ich bin noch schläfrig. Jetzt ist es zu früh. Ich warte, bis meine liebe Amme kommt und mich weckt… Plötzlich wachte ich auf. Ich bin hier. In Rahims Haus. In meinem Haus. Ich bin Rahims Frau. Wer hat denn den Samowar angesteckt? Ich rollte mich auf meinem Lager herum und starrte durch das Fenster in den Himmel.
Die Tür öffnete sich, und Rahim trat ein. »Willst du nicht aufstehen, du Schlafmütze?«
Ich lachte, »O, ich bin so hungrig, daß du es dir nicht vorstellen kannst.«
»Ich weiß. Der Samowar brennt. Das Frühstück steht bereit.«
»O weh, ich wollte aufstehen…«
»Sie brauchen nicht aufzustehen, wertes Fräulein. Ich habe den Samowar angeheizt. Ich habe dir frisches Brot gekauft. Das Geschirr habe ich auch schon abgewaschen.«
Beschämt sagte ich, »Das Geschirr? Gott lasse mich sterben!«
»Um Gottes willen, nein.«
Es war zwei Stunden vor
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