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Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
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daß ich es nicht anrühren würde. Rahim begleitete mich. Die Amme goß das Wasser aus, und wir wuschen uns Mund und Hände und trockneten sie. Rahim ging, um das Windlicht anzuzünden und auf die Stufe des Korridors zu stellen, der zur Haustür führte, damit die Amme den Weg fand. Der bedauernswerte Firuz Chan wartete hungrig und durstig in der Kutsche. Obwohl ich darauf bestand, hatte es meine Amme nicht für nötig gehalten, ihm etwas zu essen zu geben. Sie sagte, »Was ist schon geschehen? Es ist nicht nötig, daß er bei Anbruch der Dämmerung zu Abend ißt. Er wird nach Hause gehen und dort zu Abend essen. Es ist doch noch nicht spät! Keine Angst, er wird schon nicht vor Hunger sterben.«
    Die Amme begleitete mich über die Stufen in den Saal und öffnete dort die Tür zum kleineren Zimmer, das auch das Zimmer meiner Hochzeitsnacht sein würde. Sie hatte das Satin-Bettzeug auf dem Boden ausgebreitet. Sie brachte die beiden Lampen mit den tulpenförmigen Glasschirmen, in denen Kerzen brannten, und stellte sie in die Wandnische. Zwei helle, farbige Lampen mit der Abbildung Nasser-uddin Shahs, der mich mit seinem buschigem Knebelbart aus der Nische betrachtete.
    Die Amme ergriff meine Hand und sagte, »Setz dich.«
    Ich kniete mich auf die Bettdecke und legte die Hände auf die Knie. Wie ein geköpftes Huhn. Ich zitterte am ganzen Körper und blickte auf die Tür. Als sei ich in Rauch und Nebel eingehüllt. Ich erwartete etwas Unbekanntes, das anziehend und furchteinflößend zugleich war. Ich war allein, verlassen und vertrieben. Dennoch hatte ich mein Herz an den einzigen Beschützer gehängt, den ich fortan im Leben besitzen würde, und war voller Hoffnung.
    Die Amme legte mir sechzig Tuman in die Hand und sagte, »Dies hat mir dein Agha Djan gegeben, daß ich es dir gebe. Gib es selbst aus…« Sie legte eine Pause ein und fügte hinzu, »Ich habe abgeräumt, aber ich hatte keine Gelegenheit, das Geschirr abzuwaschen. Deine Chanum Djan wartet. Sie hat gesagt, ich soll möglichst rasch zurückkehren. Dein Ehemann ist kein übler Mann. Bei Gott, er ist ansehnlich. Aber nimm gleich zu Beginn die Zügel in die Hand. Vergiß bloß nicht, wer du bist! Gib nicht von Anfang an nach. Ich wünschte mir, ich hätte heute nacht hierbleiben können, aber deine Chanum Djan hat es nicht erlaubt. Aber ich werde dich regelmäßig besuchen kommen.«
    Ich verstand nicht, was sie sagte. Ich war durcheinander, mir schwindelte, und ich war aufgewühlt. Ich schwankte wie eine Betrunkene. Als würde ich träumen. Ich sagte, »Gib das Firuz Chan«, und drückte ihr zwei Tuman in die Hand.
    Sie sagte, »Das ist zuviel.«
    Ich sagte, »Macht nichts. Und das ist für dich.«
    Und ich gab ihr drei, vier Tuman für sie selbst. Sie zierte sich und wollte es nicht nehmen. Beharrlich drängte ich es ihr auf. Sie küßte mich auf die Stirn, erhob sich und ging und schloß die Tür hinter sich. Dann hörte ich, wie die Salontür geschlossen wurde. Und dann das Geräusch ihrer Schritte auf den Stufen und ihr Geplauder mit Rahim, wie sie sagte, »Zu Ihren und Mahbubes Diensten«, und sie verabschiedete sich.
    Ich hörte die schlurfenden Schritte, das Schließen der Haustür, das Getrappel der Pferde und das Geräusch der Kutschenräder, das im Elternhaus nie zu hören gewesen war. Wie dicht dieses Haus an der Gasse lag. Die Amme verschwand und mit ihr meine Vergangenheit und mein sorgloses, kindliches Leben. Ich mußte loslassen. Ich mußte mir diese Gedanken aus dem Kopf schlagen. Ich war in diesem Haus allein geblieben, mit Rahim, von dem ich nicht wußte,wo er steckte! Von dem ich nicht wußte, weshalb er nicht kam! Zu guter Letzt hatte ich meinen Kopf durchgesetzt. Was hatte ich bloß angerichtet? War dieses kleine Zimmer, das ich verwundert musterte, mein Haus? O weh, ich will meine Mutter. Agha Djan. Chodjasteh, damit wir uns raufen können. Manuchehr, um mit ihm zu spielen. Meine liebe Amme, Dadde Chanum, Firuz Chan und Hadj Ali, damit ich nicht merke, wann es Tag und wann es Nacht wird. Wann und wie das Essen gekocht wird. Wann man das Speisetuch ausbreitet und wieder zusammenlegt! Was sollte ich nun mit all dem Geschirr anfangen, das sich in der Küche aufgestapelt hatte? Nein, ich durfte nicht weinen. Ich wünschte mir, ich hätte all das nur geträumt, und morgens beim Erwachen würde ich in unserem eigenen Haus sein… Ah, da kommt der Klang von Rahims Schritten, der die Stufen hinaufsteigt. Wie gut, daß ich seine Frau geworden

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