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Der müde Bulle

Der müde Bulle

Titel: Der müde Bulle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Wambaugh
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Wahrheit verdreht hätte. Sie wissen doch selbst am besten, wie es heutzutage um die Durchsuchungs- und Verhaftungsbestimmungen bestellt ist.«
    »Schon gut, sprechen Sie weiter.«
    Ich erzählte ihr also die ganze Geschichte, wie sie sich wirklich zugetragen hatte und wie mir dann später die Idee mit dem Haftbefehl wegen dieser Verkehrsübertretung gekommen war, als ich herausgefunden hatte, daß dieses Papier tatsächlich existierte. Als ich meinen Bericht beendet hatte, rauchte sie noch mindestens zwei Minuten lang schweigend vor sich hin, ohne ein Wort zu sagen. Ihre eingefallenen Wangen sahen aus, als wären sie aus einer Felswand herausgemeißelt.
    Sie war eine energische alte Dame aus einem anderen Jahrhundert, als sie so vor mir saß, mir schließlich ihr Profil zuwandte und sagte: »Ich habe schon Tausende Male erlebt, daß ein Zeuge gelogen hat. Vermutlich lügt auch jeder Angeklagte mehr oder weniger, und auch die Zeugen der Verteidigung drehen und wenden die Wahrheit, wie es ihnen gerade am besten in den Kram paßt. Und natürlich habe ich auch schon mehr als einen Polizisten gesehen, der in dieser Hinsicht der Wahrheit ein wenig nachgeholfen hat. Sie kennen doch sicher auch diese abgedroschene Geschichte, man hätte geglaubt, der Angeklagte hätte in seiner Hosentasche eine Angriffswaffe wie zum Beispiel ein Messer gehabt, die sich dann bei genauerem Nachsehen als ein Joint herausstellte. Diese Story bekommen wir Richter von so vielen Polizisten und so häufig vorgesetzt, daß einem davon schon fast übel werden könnte. Und dann ist da natürlich der flüchtige und deshalb schwer überprüfbare Eindruck, der Angeklagte hätte etwas unter dem Wagensitz versteckt. Das ist immer ein guter Durchsuchungsgrund, der natürlich auch entsprechend überbeansprucht wird. Natürlich habe ich schon eine ganze Reihe von Polizisten lügen hören, aber nichts in dieser Welt läßt sich auf das simple Schwarz-Weiß-Schema reduzieren, und es gibt hinsichtlich des Übergangs von Wahrheit zu Unwahrheit sicher bestimmte Gradabstufungen. Deshalb entscheide ich im Zweifelsfall normalerweise zugunsten der aussagenden Polizisten, da ich mir wie viele andere Richter durchaus im klaren bin, daß ein Polizist heutzutage kaum mehr etwas zum Schutz der Öffentlichkeit tun kann. Aber ich hätte nie gedacht, daß ein Mitglied der Polizei von Los Angeles seine Aussage so vollständig verfälschen könnte, wie Sie das eben getan haben. Das ist es, was mich ganz krank macht.«
    »Ich habe doch gar nicht alles verfälscht. Er hatte die Pistole. Sie war unter der Matratze. Er hatte Marihuana. Ich habe doch nur hinsichtlich des Orts gelogen, an dem ich es gefunden habe. Euer Ehren, dieser Mann ist ein gesuchter Räuber. Die Detectives hängen ihm sechs Überfälle an. Er hat einen alten Mann niedergeschlagen, so daß er erblindet ist. Er hat …«
    Sie hob ihre Hand. »Ich habe mir auch keineswegs eingebildet, er hätte mit seiner Waffe nur in der Suppe umrühren wollen, Officer Morgan. Mir ist keineswegs entgangen, daß dieser Mann gefährlich ist.«
    »Sie konnten es also auch sehen!« stieß ich hervor. »Warum …«
    »Halt!« unterbrach sie mich. »Das hat absolut nichts zu besagen. Unser Rechtswesen ist zwar zweifellos etwas kompliziert und vertrackt, aber Gesetz bleibt nun einmal Gesetz!«
    »Euer Ehren«, begann ich langsam, und dann traten mir die Tränen in die Augen, ohne daß ich etwas dagegen hätte tun können. »Ich habe keine Angst davor, meine Pension zu verlieren. Ich war jetzt neunzehn Jahre und elf Monate bei der Polizei, und ich werde morgen den Dienst quittieren und in Pension gehen. Aber es geht mir nicht um meine Pension. Das ist nicht der Grund, weshalb ich Sie bitte, Sie anflehe, mir noch eine Chance zu geben. Und es ist auch nicht so, daß ich befürchte, wegen Meineids vor Gericht gestellt und zu einer Haftstrafe verurteilt zu werden. Schließlich muß man in dieser Welt hart im Nehmen sein. So ist das nun einmal. Aber Sie müssen wissen, Euer Ehren, daß mich meine Kollegen und überhaupt die Leute – die Leute in meinem Revier – für etwas Besonderes halten. Ich bin einer von den Männern, zu denen sie noch wirklich aufschauen können, wissen Sie? Ich bin nicht nur einfach so eine spezielle Type, ich bin ein verdammt guter Polizist!«
    »Das weiß ich«, sagte sie. »Ich habe Sie schon viele Male vor Gericht beobachtet.«
    »Sie können sich tatsächlich an mich erinnern?« Natürlich hatte ich schon in

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