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Der müde Bulle

Der müde Bulle

Titel: Der müde Bulle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Wambaugh
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meine Schulter gelegt und sagte: »Richterin Redford würde Sie gern unter vier Augen sprechen.«
    Sie war inzwischen aufgestanden und in ihr Arbeitszimmer gegangen. Ich erhob mich ebenfalls und stakste wie ein Zinnsoldat zur offenen Tür. Nach wenigen Augenblicken stand ich vor dem Schreibtisch, hinter dem Richterin Redford saß. Sie hatte mir jedoch den Rücken zugekehrt und suchte etwas in dem Bücherregal, das die Wand hinter ihr ausfüllte. Sie atmete schwer und wußte offensichtlich nicht so recht, was sie sagen sollte.
    »Nehmen Sie Platz«, forderte sie mich schließlich auf. Das tat ich. Dabei fiel mir meine Mütze zu Boden, und ich fühlte mich so schwindlig, daß ich mich nicht zu bücken wagte, um sie aufzuheben.
    »Also, so etwas ist mir in all den Jahren noch nicht passiert, und ich kann wirklich auf eine lange Berufserfahrung zurückblicken. So etwas ist mir noch nicht annähernd passiert. Ich würde wirklich zu gern wissen, weshalb Sie das getan haben.«
    »Dann erlauben Sie mir wenigstens jetzt, die Wahrheit zu sagen.« Mein Mund fühlte sich trocken an. Ich hatte Mühe, die einzelnen Worte zu bilden. Jedesmal, wenn ich die Lippen öffnete, schnalzten sie vor Trockenheit. Genau in dem Zustand hatte ich schon Tausende von Verdächtigen gesehen, wenn ich sie am Kragen hatte und sie wußten, daß es für sie kein Entkommen mehr gab.
    »Vielleicht sollte ich Sie erst einmal auf Ihre Rechte hinweisen, bevor Sie mir irgend etwas sagen.« Die Richterin nahm ihre Brille ab, und ihre Nase wirkte noch schmaler als zuvor. Sie war eine unscheinbare Frau, die hier in ihrem Büro plötzlich kleiner und zierlicher wirkte als im Gerichtssaal, aber zugleich auch energischer und älter.
    »Zum Teufel mit meinen Rechten!« stieß ich unvermittelt hervor. »Ich pfeife auf meine Rechte. Ich möchte Ihnen die Wahrheit sagen.«
    »Ich beabsichtige allerdings, Sie durch die Staatsanwaltschaft wegen Meineids belangen zu lassen. Ich werde mir das Gästebuch des Hotels zeigen lassen und außerdem den Angestellten der Telefongesellschaft vorladen, der das Telefon repariert hat – und natürlich auch noch einmal Mr. Downey. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie dann noch die geringste Chance haben.«
    »Interessiert es Sie denn gar nicht, was ich zu sagen habe?« Ich wurde allmählich ebenso wütend wie verängstigt, und ich spürte, wie mir die Tränen in die Augen traten. Es war sicher sehr lange her, daß ich so ein Gefühl gehabt hatte.
    »Was sollten Sie schon groß sagen können? Was könnte irgend jemand dazu sagen? Ich bin schrecklich enttäuscht! Ja, ich bin sogar aufs äußerste schockiert.« Sie rieb sich für einen Moment die Augenwinkel, und dann konnte ich mich nicht mehr beherrschen.
    »Sie sind enttäuscht? Sie sind schockiert? Was glauben Sie eigentlich, wie es in mir aussieht? Ich habe ein Gefühl, als drehten Sie ständig eine glühende Fackel in meinen Eingeweiden herum und wollten gar nicht damit aufhören, mich zu quälen. Das ist es, was ich fühle, Euer Ehren. Kann ich Ihnen jetzt die Wahrheit sagen oder nicht? Wollen Sie mich nicht wenigstens anhören?«
    »Also gut, schießen Sie schon los.« Sie zündete sich eine Zigarette an und lehnte sich in ihrem Polstersessel zurück, um mich prüfend zu betrachten.
    »Ich habe da einen Informanten, Euer Ehren. Und ich muß meine Informanten auf alle Fälle decken – das wissen auch Sie ganz genau. Für diese Leute stünde sonst zuviel auf dem Spiel, und schließlich sind wir ja auch daran interessiert, weiterhin über bestimmte Vorgänge auf dem laufenden gehalten zu werden. Und wie die Dinge heutzutage vor Gericht nun mal stehen, wo alle gleich ganz nervös werden, wenn nur die Sprache auf die Rechte des Angeklagten kommt, kann man es sich praktisch unmöglich erlauben, seine Informanten zu erwähnen, wie das früher noch ohne weiteres möglich war. Und es hat ja praktisch auch keinen Sinn mehr, sich einen Haussuchungsbefehl ausstellen zu lassen, weil sich die Richter immer gleich mordsmäßig anstellen und jeden Informanten vorladen wollen, obwohl dies gar nicht nötig wäre. Und so habe ich im Laufe der Jahre angefangen, mir zu überlegen, wie man das – irgendwie umgehen könnte.«
    »Sie haben also angefangen zu lügen.«
    »Ja, ich habe zu lügen angefangen. Was glauben Sie eigentlich? Wahrscheinlich liefe das ganze Ganovenpack, das ich inzwischen hinter Gitter gebracht habe, noch frei herum, wenn ich nicht jedesmal zumindest ein bißchen die

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