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Der müde Bulle

Der müde Bulle

Titel: Der müde Bulle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Wambaugh
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einigen Verhandlungen, die sie geleitet hatte, als Zeuge ausgesagt, aber ich dachte, wir Uniformierten sähen für die Schwarzroben alle gleich aus. »Machen Sie uns das Leben nicht noch schwerer, als es das sowieso schon ist, Richterin Redford. Einige Kollegen lügen grundsätzlich nicht, und andere verdrehen die Wahrheit immer nur ganz geringfügig. Und es gibt nur ein paar, die tun würden, was ich eben getan habe.«
    »Aber wieso haben Sie das getan?«
    »Weil ich nicht einfach meine Augen vor all dem Unrecht verschließen kann, Euer Ehren. Andere Polizisten reißen einfach ihre neun Stunden herunter und gehen dann zu ihren Familien nach Hause. Womöglich wohnen sie auch noch dreißig Kilometer außerhalb der Stadt. Aber so Kerle wie ich – wir haben niemanden, und wir wollen auch niemanden. Ich bin in meinem Revier zu Hause. Und da ist einfach etwas in mir, das mir befiehlt, diese Dinge gegen mein besseres Wissen zu tun, was wiederum nur beweist, daß ich blöder bin als das blödeste Arschloch in meinem Revier.«
    »Sie sind alles andere als blöd. Sie sind ein sehr cleverer Zeuge – ein außergewöhnlich cleverer sogar.«
    »Ich habe noch nie so schwerwiegend gelogen, Euer Ehren. Ich dachte eben, das Ganze würde schon hinhauen.
    Ich habe nur diesen Namen im Gästebuch nicht richtig gelesen. Wenn ich den richtig gelesen hätte, wäre ich doch nie auf die Idee mit dem Haftbefehl wegen der Verkehrsübertretung gekommen. Dann hätte ich mir sicher eine andere Geschichte ausgedacht und säße jetzt nicht in der Klemme. Der einzige Grund, weshalb ich den Namen nicht richtig lesen konnte und nur annahm, daß der Mann Landry sein mußte, war eben, daß ich mit meinen fünfzig Jahren ziemlich weitsichtig bin und zugleich zu stur, um eine Brille aufzusetzen. Ich mache mir immer noch vor, ich wäre erst dreißig und könnte noch die Arbeit der Jungen tun, während ich dafür schon längst nicht mehr das Zeug habe. Abgesehen davon höre ich jetzt sowieso auf. Und falls ich in diesem Punkt noch meine Zweifel gehabt haben sollte, dann sind die jetzt endgültig ausgeräumt. Morgen ist mein letzter Tag. Der blaue Ritter. Gestern hat mich jemand den blauen Ritter genannt. Warum sagen die Leute so etwas? Sie vermitteln einem wirklich das Gefühl, daß man etwas leistet, und so wirft man sich eben jedesmal wieder von neuem mit vollem Einsatz in den Kampf. Weshalb sollte ich mich einen Dreck darum scheren, ob Landry wieder als freier Mann diesen Gerichtssaal verläßt? Was sollte mir daran gelegen sein? Weshalb nennen einen die Leute den blauen Ritter?«
    Sie sah mich an und drückte ihre Zigarette aus. Noch nie in meinem Leben hatte ich um etwas gebeten, und noch nie war ich vor jemandem zu Kreuze gekrochen. Ich war froh, daß sie eine Frau war, da es wenigstens nicht ganz so schlimm war, vor einer Frau zu Kreuze zu kriechen – nicht ganz so schlimm. Mein Magen brannte inzwischen nicht nur, sondern wand sich auch noch in krampfhaften Zuckungen, als würde er von einer riesigen Faust gedehnt und wieder zusammengezogen. Ich bekam richtig Angst, daß ich vor Schmerzen das Bewußtsein verlieren würde.
    »Sie sind doch hoffentlich wie ich der Meinung, Officer Morgan, daß wir das Ganze nicht einfach auf sich beruhen lassen können. Wo kämen wir denn hin, wenn wir Richter uns über die Gesetze hinwegsetzen würden? Das wäre doch das Ende jeder Zivilisation, glauben Sie nicht auch? Sie wissen sehr gut, daß ich, wie auch viele andere Richter, mir sehr wohl bewußt bin, wie erschreckend viele Kriminelle in unserer Stadt frei herumlaufen, vor denen Sie von der Polizei uns schützen sollen. Dazu sind Sie natürlich nicht immer in der Lage, und manchmal sind Ihnen die Hände zusätzlich durch Gerichtsbeschlüsse gebunden, die im Gegensatz zu jeder gesunden Logik davon ausgehen, daß der Mensch in seinem Innersten gut ist. Glauben Sie nicht, daß Sie viele Richter – und sogar Verteidiger – voll auf Ihrer Seite haben? Verstehen Sie denn nicht, daß gerade Sie von der Polizei mehr leisten und darstellen sollen, als man eigentlich von Ihnen erwarten dürfte? Und deshalb müssen vor allem Sie geduldig und insbesondere ehrlich und aufrichtig sein. Begreifen Sie denn nicht, daß wir alle dem Untergang geweiht sind, wenn nicht einmal Sie sich an die Bestimmungen des Gesetzes halten, wie absurd sie uns auch erscheinen mögen? Ist Ihnen das denn nicht klar?«
    »Sicher. Natürlich weiß ich das. Aber Knobby Booker sieht das nicht

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