Der müde Bulle
war ich wieder eingenickt, bis Laila mich neuerlich wachrüttelte und mir eine kleine Tasse starken, duftenden türkischen Kaffees unter die Nase hielt. Begierig sog ich den süßen Duft ein, und dann spürte ich von neuem ihre kühle Hand an meinem Gesicht und sah ihren vollen Mund lächeln.
»Vielleicht sollte ich dir den Kaffee löffelweise eingeben, bis du wieder nüchtern wirst.«
»Keine Sorge, ich bin schon wieder okay.« Ich rieb mir die Schläfen, dann trank ich den Kaffee so schnell wie möglich, obwohl ich mir damit Mund und Kehle verbrannte. Laila goß mir eine neue Tasse ein, während ich aufs Klo ging, pinkelte, mein Gesicht mit kaltem Wasser wusch und mir das Haar kämmte. Ich war immer noch ganz schön voll, als ich aus dem Bad zurückkam, aber zumindest wieder halb lebendig.
Auch Laila fand wohl, daß mit mir wieder etwas anzufangen war. »Ich mache ein wenig Musik, Bumper, dann können wir uns in Ruhe unterhalten.«
»In Ordnung.« Ich trank die zweite Tasse fast so schnell wie die erste und schenkte mir eine dritte ein.
Für einen Moment erfüllte das sanfte, ergreifende Lied einer arabischen Sängerin den Raum, aber Laila drehte den Apparat sofort leiser. Es war ein fast winselndes, klagendes Geräusch, dessen Zauber man sich früher oder später nicht mehr entziehen kann. Zumindest geht mir das so, wobei diese Musik in mir immer ganz bestimmte Bilder heraufbeschwört – den Tempel von Karnak, die Pyramiden von Gizeh, die Straßen von Damaskus und das unvergeßliche Bild eines Beduinen, der in der grellen Sonne von einem rosafarbenen Kliff auf das Tal der Könige hinunterblickt. Im Gesicht dieses Mannes spiegelte sich für mich ein größeres Geschichtsverständnis wider, als ich es je erlangen würde, obwohl er vermutlich weder lesen noch schreiben konnte. Ich hatte mir vorgenommen, diesen Ort zum Sterben aufzusuchen, wenn ich alt wurde. Das heißt, wenn ich je alt werden sollte.
»Ich mag diese Musik immer noch.« Mit einem Lächeln zeigte Laila auf die Stereoanlage. »Aber den meisten Leuten gefällt sie nicht. Wenn du willst, kann ich auch etwas anderes auflegen.«
»Nein, nein, bloß nicht«, beruhigte ich sie.
Laila sah mir in die Augen. »Du mußt mir helfen, Bumper.«
»Na, dann schieß schon los. Wo drückt dich der Schuh?«
»Könntest du bei meinem Bewährungshelfer ein gutes Wort für mich einlegen?«
»Du stehst unter Bewährung? Weswegen?«
»Prostitution. Im Januar hat die Sitte drei von uns geschnappt. Ich wurde verurteilt und auf Bewährung freigelassen.«
»Und was soll ich jetzt tun?«
»Ich hatte einen ziemlich strengen Richter, und jetzt muß ich mich zwei Jahre lang regelmäßig bei meinem Bewährungshelfer melden. Ich muß für einige Zeit verreisen, und dafür brauche ich eine Genehmigung.«
»Wo willst du denn hin?«
»Ich bekomme ein Kind, und ich will nicht, daß das jemand merkt. Deshalb will ich für eine Weile weg von hier, bis das Kind geboren ist. Dann gebe ich es zur Adoption frei und komme wieder zurück.«
Sie sah diesen ›Warum ausgerechnet ich?‹-Blick in meinen Augen.
»Bumper, du mußt mir unbedingt helfen. Ich möchte auf keinen Fall, daß meine Schwestern etwas davon erfahren. Auf keinen Fall, hast du verstanden? Sie würden das Baby nur selbst aufziehen wollen. Außerdem ist es schon hart genug, sich in dieser Scheißwelt durchzuschlagen, wenn man weiß, wer einen gezeugt hat und daß sich die Eltern um einen kümmern müssen. Ich habe da einen Plan, und du bist der einzige, auf den mein verdammter Familienclan hören wird. Sie haben volles Vertrauen zu dir. Du mußt Yasser und Ahmed und den anderen einreden, du fändest es nicht gut, daß ich mir meinen Lebensunterhalt als Tänzerin verdiene, und daß du einen Freund in New Orleans hast, der mir einen gut bezahlten Bürojob angeboten hat. Dann werden sie das alles meinem Bewährungshelfer sagen und ihn davon überzeugen, daß das die Wahrheit ist. Ich werde dann für sieben oder acht Monate verschwinden und irgend etwas erzählen, wenn ich wieder zurückkomme, daß mir der Job nicht gepaßt hätte oder so was Ähnliches. Sie werden zwar alle ganz schön ausflippen, aber das kann mir dann egal sein.«
»Und wo zum Teufel willst du wirklich hin?«
»Das ist doch völlig gleichgültig.« Sie zuckte mit den Schultern. »Irgendwo hin, wo ich das Baby ungestört kriegen kann. Vielleicht tatsächlich nach New Orleans – oder sonst wohin.«
»Aber du wirst doch hoffentlich zu keinem
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