Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der müde Bulle

Der müde Bulle

Titel: Der müde Bulle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Wambaugh
Vom Netzwerk:
schwanger. Ich dachte, na ja, jetzt hat's dich eben auch erwischt, und so haben wir uns einen Abend einen Mordsrausch angesoffen, und dann haben wir in Arizona geheiratet. Sie schrieb mir dann regelmäßig, aber ich dachte eigentlich nicht allzuviel an sie, bis ich das zweitemal verwundet wurde und sie mich endgültig nach Hause schickten. Und da erwartete sie mich dann, mit einem kränkelnden, kleinen Billy. Mein richtiger Name ist übrigens William, wußtest du das eigentlich?«
    »Nein, das habe ich nicht gewußt.«
    »Na ja, ich war jedenfalls von dem Ganzen nicht sonderlich begeistert, aber ich hielt auch nicht viel davon, jemand anderen die Suppe auslöffeln zu lassen, die ich ihm eingebrockt hatte, und so suchte ich uns eine anständige Wohnung in Oceanside. Ich dachte mir, so schlecht ist das alles doch eigentlich gar nicht. Also meldete ich mich noch einmal zum Militär und wurde binnen kurzem zum Master Sergeant befördert. Mit Verna ging es sogar ganz gut. Nachdem Billy auf die Welt gekommen war, hatte sie zu saufen aufgehört und wurde eine ganz anständige Hausfrau. Sie war ja nur eine arme, ungebildete Farmerstochter, aber um Billy und mich hat sie sich wirklich gesorgt, das muß ich schon zugeben. Ich hatte Glück und bekam für fünf Jahre einen Posten beim Hauptquartier, und Billy war für mich, na ja – ich weiß auch nicht, wie ich das sagen soll … Es ist, als stünde man auf einer Felsklippe und schaute auf die ganze Welt hinunter, vom Anfang bis herauf in die unmittelbare Gegenwart, und als sähe man zum erstenmal einen Sinn hinter dem Ganzen. Ich weiß auch nicht – verstehst du, was ich meine?«
    »Ja, ich glaube schon.«
    »Du wirst es kaum glauben, aber er hat mir eine Geburtstagskarte geschrieben, als er gerade vier Jahre alt geworden war. Er konnte schon mit vier Jahren lesen und schreiben. Er fragte seine Mutter, wie man die Worte bildet, und dann hat er sie selbst geschrieben. Ich kann mich noch genau an den Text erinnern. ›Vati. Ich liebe Dich. Dein Billy.‹ Und er war erst knapp vier Jahre alt. Wirklich kaum zu glauben.«
    »Doch, ich glaube es dir, Bumper.«
    »Aber er war wie seine Mutter schon immer etwas kränklich. Seltsam – sogar jetzt, wo ich dir von ihm erzähle, kann ich ihn mir nicht vorstellen. Ich habe ihn irgendwie aus meinem Kopf verbannt, und selbst wenn ich es wollte, ich könnte ihn mir nicht mehr vorstellen. Ich habe mal gelesen, daß nur Schizophrene ihre unbewußten Gedanken unter Kontrolle haben, und es kann leicht sein, daß ich schizoid bin. Ich kann das nämlich auch. Wenn ich manchmal schlafe und im Traum einen Schatten sehe und dieser Schatten ein kleiner Junge mit einer Brille und einer abstehenden Locke ist, dann wache ich unweigerlich auf. Ich sitze, hellwach, in meinem Bett. Jedenfalls kann ich mir Billy nicht mehr vorstellen – ganz gleich, ob im Schlaf oder im Wachzustand. Ich finde es übrigens eine hervorragende Idee, daß du dein Kind zur Adoption freigeben willst, Laila.«
    »Wann ist Billy denn gestorben?«
    »Mit fünf. Ganz kurz nach seinem Geburtstag. Und eigentlich hätte mich das Ganze keineswegs so unerwartet treffen sollen. Er litt an Anämie und hatte schon als Baby zweimal Lungenentzündung gehabt. Aber irgendwie hat es mich doch überrascht, weißt du? Obwohl er schon so lange krank war, hat es mich völlig unvorbereitet getroffen, und danach war auch Verna wie eine Tote. Wenige Wochen nach der Beerdigung sagte sie, daß sie nach Missouri zurückkehren wollte. Ich fand das eine gute Idee und gab ihr alles Geld, das ich hatte, und seitdem habe ich sie nie wieder gesehen.
    Nachdem sie mich verlassen hatte, fing ich ganz schön zu trinken an, und an einem freien Wochenende kam ich nach Los Angeles und soff mir einen solchen Rausch an, daß ich mit ein paar anderen Saufköpfen schließlich in der El Toro Marine Base landete und nicht in Camp Pendleton, wo ich eigentlich hingehört hätte. Die M.P.s am Tor ließen meine Saufkumpane natürlich durch, aber ich hatte den falschen Passierschein, und so hielten mich die beiden Militärpolizisten an. Ich war so besoffen, daß ich anfing, mich mit den beiden anzulegen.
    An die Nacht in der Arrestzelle in El Toro kann ich mich nur noch schwach erinnern. Nur die beiden Wächter sehe ich jetzt noch vor mir – ein Weißer und ein Schwarzer. Sie hatten Khakihosen und Unterhemden an und schleiften mich über den Boden der Zelle auf die Toilette, wo sie mich mit ihren Gummiknüppeln hernahmen

Weitere Kostenlose Bücher