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Der müde Bulle

Der müde Bulle

Titel: Der müde Bulle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Wambaugh
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ist manchmal eine Menge los.«
    Ich hätte mich eigentlich noch ein bißchen mit ihm unterhalten sollen. Mir war das sehr wohl bewußt, aber ich hatte im Augenblick einfach keine Lust dazu. Es war das erstemal, daß mich dieser Mann bediente, und so sagte ich genau das, was alle Polizisten sagen, wenn sie sich zu neunzig Prozent sicher sind, wie die Antwort auf ihre Frage lauten wird.
    »Wieviel bin ich Ihnen denn jetzt schuldig?«
    »Ach, das ist doch nicht der Rede wert«, antwortete er, wie erwartet. »Kommen Sie lieber wieder mal bei uns vorbei, Bumper. Hier sind Sie jederzeit willkommen.«
    Während ich aus dem Werksgelände fuhr, steckte ich mir eine Zigarre an, die meiner Verdauung diesmal kaum etwas anhaben würde, da mein Magen durch dieses Frühstück so gut präpariert war, daß ich wahrscheinlich ein paar Konservenbüchsen verdrücken hätte können, ohne etwas zu merken.
    Und dann fiel mir ein, daß das eben mein letzter Besuch in der Molkerei gewesen war. Verdammt, dachte ich. Alles, was ich heute tue, tue ich zum letztenmal. Und dann wünschte ich mir plötzlich, ich würde irgendeinen blödsinnigen Auftrag über Funk hereinbekommen – einen Einbruch oder eine etwas heftigere familiäre Auseinandersetzung, obwohl ich nichts mehr haßte, als in solchen Fällen den Schiedsrichter zu spielen. In meiner momentanen Verfassung hätte es mir nicht einmal etwas ausgemacht, einen Strafzettel auszustellen.
    Das wäre schon etwas gewesen, dachte ich, nach meinen zwanzig Jahren immer noch dabeizubleiben, obwohl ich meine Pension schon absolut sicher hatte. Ganz gleich, was man nach diesen zwanzig Jahren tun oder nicht tun würde, war einem diese vierzigprozentige Pension sicher, sobald man aus dem Dienst ausschied. Dabei war es völlig gleichgültig, ob man nun gefeuert wurde, weil man so einen Dreckskerl die Feuerleiter hinunterstieß, oder wegen Meineids vor Gericht in den Knast wanderte, weil man eigentlich einen üblen Ganoven dorthin hatte bringen wollen, oder ob man einem aufmüpfigen Rotzlöffel aus dem College mit dem Gummiknüppel einen über die Rübe zog, weil er einen am Dienstabzeichen zerrte und bei einer Demonstration ein Tonband dabeihatte – ganz gleich, was man tat, man hatte seine Pension im Sack.
    Wenn es nötig sein sollte, würden sie einem die Schecks sogar nach San Quentin überweisen. Die Pension konnte einem jedenfalls niemand mehr nehmen. Mit diesem Wissen würde die Polizeiarbeit vielleicht sogar noch etwas mehr Spaß machen, dachte ich. Auf diese Weise würde man sogar noch etwas direkter und skrupelloser vorgehen. Sicher hätte mir meine Arbeit noch mehr Spaß gemacht, wenn ich gewußt hätte, daß mir meine Pension sicher war. Während ich nun durch die Gegend fuhr, fiel mir in dem Gebrabbel aus dem Funkgerät eine Stimme auf. Es war das Mädchen mit der angenehmsten und heißesten Stimme, die ich je gehört hatte. Sie war heute auf Kanal dreizehn und hatte eine ganz eigene Art, die Nachrichten durchzugeben. Sie plapperte nicht nur einfach unpersönlich darauflos und antwortete mit knappen Sätzen im Telegrammstil und wenig kommunikativen ›Rogers‹. Ihre Sprechweise war auffallend melodisch, so daß sich die Streifenpolizisten sogar über eine Unfallmeldung freuten, wenn dieses Mädchen sie durchsagte, obwohl dies sonst die unbeliebtesten Aufträge waren. Der Kerl in Wagen Vier-L-Neun mußte wohl einen schweren Stein bei ihr im Brett haben, weil mir ihre sanfte, leicht rauchige Stimme einen Schauer den Rücken hinunter jagte, als sie sagte: »Vier-L-Neun, Roger!«
    So macht man eine Durchsage, dachte ich. Ich fuhr ohne ein bestimmtes Ziel durch mein Revier, sah mir die Leute an, die ich kannte, und auch die Leute, die ich nicht kannte, und gab mir Mühe, nicht an all das zu denken, was ich in Zukunft nicht mehr tun würde. Ich tauschte das für Dinge ein, die ich lieber tun würde, beziehungsweise, die jeder halbwegs vernünftige Mensch lieber tun würde, wie zum Beispiel mit Cassie zusammenzusein, ein normales, bürgerliches Leben anzufangen und mir eine neue Karriere aufzubauen. Komisch, daß ich mir diese Art von Leben als zivilisiert vorstellen sollte. Das war auch sicher einer der Gründe, weshalb ich zum Sterben immer nach Nordafrika hatte gehen wollen.
    Ich hatte mir immer, wenn auch etwas vage, vorgestellt, nach dreißig Jahren meinen Abschied zu nehmen, falls mich bis dahin noch niemand ins Jenseits geschickt haben sollte und ich so lange durchhielt, da ich mit

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