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Der müde Bulle

Der müde Bulle

Titel: Der müde Bulle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Wambaugh
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sechzig dann einfach zu alt für meinen Job bei der Polizei geworden wäre. Aber ich hatte mir tatsächlich eingebildet, ich könnte so lange dabeibleiben. Ich stellte mir vor, daß ich noch bis sechzig durch diese Straßenstreifen könnte, wenn ich mich mit dem Essen, dem Trinken und den Zigarren etwas zurückhielt. Dann würde ich so ziemlich alles gelernt haben, was es hier zu lernen gab. Ich hätte alle Geheimnisse gelüftet, die ich schon immer hatte lüften wollen, und dann wäre ich ins Flugzeug gestiegen und zum Tal der Könige gereist, um von einem rosafarbenen Granitfelsen aus in die Weite zu blicken, wo alle Zivilisation ihren Anfang genommen hatte.
    Und wenn ich lange genug dort blieb und nicht zuviel soff und von einer Pyramide fiel oder von einem aufgescheuchten Kamel zu Tode getrampelt oder von einem Araber durchlöchert wurde, der alle Amerikaner haßte wenn ich also noch lange genug überlebte, würde ich vielleicht das letzte herausfinden, was ich noch wissen wollte: ob die Zivilisation wirklich das Aufheben wert war, das man um sie machte.
    Dann fiel mir ein, was Cruz dazu sagen würde, wenn ich je betrunken genug sein sollte, um mit ihm über dieses Thema zu sprechen. Er würde sagen: »Leg doch der Liebe, die du in dir verspürst, keinen Riegel vor, 'mano, und laß dich einfach fallen. Du wirst deine Antwort schon bekommen. Dazu brauchst du keine Sphinx und keinen rosa Granitfelsen.«
    »Hallo, Bumper«, drang plötzlich eine Stimme an mein Ohr. Ich wandte meinen Blick zur Seite und entdeckte Percy, der gerade seine Pfandleihe auf schloß.
    »Hallo, Percy!« schrie ich zurück und fuhr etwas langsamer, um ihm zuzuwinken. Percy war eine äußerst seltene Spezies Mensch, ein ehrlicher Pfandleiher. Er jagte jeden Dieb oder Hehler auf der Stelle aus seinem Laden, wenn er auch nur den geringsten Verdacht hatte, daß man ihm heiße Ware anbot. Und er verlangte von jedem Kunden, daß er sich ordentlich auswies, bevor er Geschäfte mit ihm machte.
    Ich erinnerte mich, daß er mir einmal einen Strafzettel gegeben hatte, den ich für ihn hätte anfechten sollen, da es der erste war, den er bekommen hatte – und zwar, weil er bei Rot über eine Kreuzung gegangen war. Percy hatte nämlich keinen Wagen, da er Autos nicht mochte. Er fuhr jeden Morgen mit dem Bus zur Pfandleihe. Ich konnte dem guten Percy damals einfach nicht klarmachen, daß ich keinen Strafzettel anfechten konnte, und so nahm ich ihn einfach und bezahlte die geforderte Summe. Heutzutage ist es praktisch unmöglich, einen Strafzettel anzufechten. Dazu muß man schon mindestens einen Richter oder einen Oberstaatsanwalt kennen. Die Anwälte helfen sich in dieser Hinsicht natürlich schon gegenseitig, aber als gewöhnlicher Polizist richtet man in solch einem Fall absolut nichts aus. Jedenfalls zahlte ich also Percys Strafzettel, worauf er dachte, ich hätte die Sache geregelt, und mich für einen mordseinflußreichen Mann hielt.
    Ein anderer Schwarzweißer fuhr in Richtung Süden an mir vorbei. Der Fahrer, ein kraushaariger junger Bursche namens Nelson, winkte mir. Ich nickte ihm grinsend zu. Fast wäre er einem Wagen hinten drauf gebrummt, der an einem Rotlicht hielt, da er einer heißen Biene in Hot pants nachschielte, die gerade in ein Bürogebäude ging. Das war wieder einmal typisch für diese jungen Kollegen, dachte ich. Hatten nichts als Weiber im Kopf und redeten natürlich auch über nichts anderes.
    Manchmal hatte ich das Gefühl, daß diese jungen Kerle heutzutage lieber über etwas redeten, als es dann tatsächlich zu tun. Das beunruhigte mich oft. Ich muß zugeben, daß ich von mir nicht gerade behaupten kann, in dieser Hinsicht zu kurz gekommen zu sein. Für so einen häßlichen Kerl wie mich hatte ich wirklich ganz ordentlich abgesahnt, aber ich habe nie jemandem groß erzählt, was nun mit den einzelnen Frauen gelaufen ist. Zu meiner Zeit hätte sich so etwas einfach nicht gehört. Aber meine Zeit war offensichtlich vorüber, rief ich mir ins Gedächtnis zurück und bog in die Grand ein.
    Und dann hörte ich, wie eine Streife in eines der großen Hotels in der Innenstadt gerufen wurde, und ich wußte, daß dieser Hoteldieb wieder zugeschlagen hatte. Ich hätte so ziemlich alles darum gegeben, diesen Kerl noch zu schnappen. Das wäre wirklich ein Ding gewesen, nach so einem dicken Fang aufzuhören. Ich fuhr noch etwa zwanzig Minuten durch die Gegend, bis ich mich schließlich doch auf den Weg zu diesem Hotel machte und hinter

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