Der müde Bulle
einfach ein paar Minuten lang, bis der Auftrag an einen anderen Wagen weitergegeben wurde. An sich lag mir so etwas gar nicht. Ich fand immer, man sollte sich gefälligst um die Aufträge kümmern, die man erhielt, aber schließlich blieb mir nur noch ein Tag. In diesem Augenblick fiel mir plötzlich Oliver Horn ein, und ich konnte gar nicht verstehen, weshalb ich nicht schon eher an ihn gedacht hatte. Nun galt es, keine Zeit zu vergeuden. Sollten sich die Kollegen um diesen Unfall kümmern, während ich zu dem Friseurladen in der Fourth Street fuhr.
Oliver saß vor dem Haus auf dem Gehsteig. Sein allgegenwärtiger Besen lag quer über seinem Schoß, während er in der Sonne vor sich hin döste.
Oliver war so ziemlich der letzte Mensch auf Erden, dem man es gewünscht hätte, daß er noch einmal mit demselben Aussehen geboren würde. Er war gebaut wie ein Walroß. Über dem Ellbogen war ihm ein Arm amputiert worden. Das lag inzwischen sicher an die vierzig Jahre zurück, und der schlechteste Chirurg der Welt war sicher dafür verantwortlich gewesen. Die Haut läppte an dieser Stelle einfach über und hing lose herunter. Oliver hatte orangerotes Haar, und zwar sowohl auf dem Kopf als auch auf seinem mächtigen weißen Bauch. Er hatte es nämlich schon längst aufgegeben, sich die Hosen über seine Wampe hochzuziehen, so daß er einem praktisch ständig seinen blanken Nabel entgegenreckte. Da es zu viel Aufwand gewesen wäre, sich mit einer Hand die Schuhe zu binden, waren seine Schnürsenkel offen und vom vielen Darauftreten völlig zerfasert. Auf dem Kinn hatte Oliver eine riesige Warze.
Trotz seines Aussehens war Oliver jedoch alles andere als auf den Kopf gefallen. Neben dem Friseurladen fegte er noch ein paar andere Geschäfte in dieser Ecke der Fourth Street aus, unter anderem auch eine Bar, in der immer einige ehemalige Sträflinge herumhingen. Sie lag in unmittelbarer Nähe der großen Hotels, und die reichen Touristen, die dort ab und zu vorbeikamen, waren natürlich willkommenes Jagdwild. Oliver war ein Mensch, dem nicht das geringste entging und der mir deshalb auch schon mehrmals nützliche Tips gegeben hatte.
»Bist du wach, Oliver?« sprach ich ihn an.
Er hob ein blau geädertes Lid. »Bumper! Na, wie geht's?«
»Alles bestens, Oliver. Wird wieder mal ein heißer Tag heute werden, was?«
»Ja, allerdings. Ich fange schon richtig zu kleben an. Gehen wir lieber hinein.«
»Ich hab's eilig. Hör mal, Oliver, hast du vielleicht was von diesem Hoteldieb gehört, der während der letzten Monate die großen Hotels in der Innenstadt unsicher gemacht hat?«
»Nein, von so einem Kerl habe ich nichts gehört.«
»Tja, vermutlich ist er auch gar kein gewöhnlicher Hoteldieb. Ich meine, keiner von diesen Jungs, die immer in Raymond's rumhängen. Aber vielleicht ist er dir anderweitig mal aufgefallen. Schließlich kippt sich auch ein Verrückter mal einen hinter die Binde, und Raymond's wäre dafür natürlich genau der richtige Ort, bevor man auf der anderen Straßenseite mal schnell zehn Hotelzimmer ausnimmt.«
»Hat der Kerl eine Meise?«
»Ja.«
»Wie sieht er denn aus?«
»Keine Ahnung.«
»Wie soll ich den Kerl dann finden, Bumper?«
»Ich weiß es auch nicht, Oliver. Ich habe im Moment nichts weiter als ein paar vage Ideen. Ich glaube, dieser Kerl hat schon früher einige Brüche gemacht. Ich meine, er versteht was davon, wie man eine Tür aufkriegt und so. Und wie gesagt, er hat auch eine Meise. Wenn du mich fragst, dann dauert es nicht mehr lange, und dieser Kerl ersticht noch jemanden. Er hat ein Messer, und zwar eins mit einer langen Klinge. Er hat damit nämlich glatt durch eine Matratze gestochen.«
»Wieso hat er auf 'ne Matratze eingestochen?«
»Er wollte einen Teddybären umbringen.«
»Hast du heute morgen schon was getrunken, Bumper?«
Während ich darüber noch lächeln mußte, wurde mir bewußt, daß das Ganze tatsächlich absurd war. Wie sollte ich von Oliver irgendwelche Informationen erhalten, wenn ich ihm keinerlei Anhaltspunkte geben konnte? Ich griff nach jedem Strohhalm, der gerade an mir vorbeischwamm, um an meinem letzten Tag noch einmal einen dicken Fang zu machen. Das ist doch lächerlich, dachte ich und schämte mich fast ein wenig.
»Da hast du fünf Dollar, Oliver. Kauf dir dafür mal ein anständiges Steak.«
»Jetzt hör mal, Bumper, ich habe doch noch gar nichts für dich getan.«
»Das macht nichts. Jedenfalls schleppt dieser Psychopath ein mordslanges
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