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Der müde Bulle

Der müde Bulle

Titel: Der müde Bulle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Wambaugh
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machte ich aber noch einmal gegen Ende eines Stücks, und dann lachte niemand mehr. Jeder lächelte, aber niemand lachte, weil plötzlich alle merkten, wie anmutig ich mich trotz meiner Statur bewegen kann. Niemand konnte den ›Funky chicken‹ so gut wie ich, und so stand ich einfach da, flatterte mit den Ellbogen und wackelte mit den Knien, nur um die anderen herauszufordern. Und trotz Myrnas ungezügelter, animalischer Bewegungen hatten die Leute auch für mich Augen. Sie sahen uns beiden beim Tanzen zu. Und das vermisse ich, seit ich nicht mehr mit Myrna zusammen bin.
    An diesem Tag hatte ich keine Lust, mich zu weit von meinem Revier zu entfernen. Daher entschied ich mich für ein Rindfleisch-Teriyaki und fuhr in Richtung J-Town. Die Japaner haben das Geschäftsviertel um die First und Second Street zwischen Los Angeles Street und Central Avenue in Beschlag genommen. Es gibt hier eine Menge von abwechslungsreichen Geschäften, Restaurants und Bürobauten. Sie haben auch ihre eigenen Banken, und an Geld herrscht dort alles andere als Mangel.
    Als ich die Geisha Doll in der First Street betrat, war der größte Mittagstrubel bereits vorüber, und die Mama-san huschte mit anmutigen kleinen Schritten so grazil durch den Raum, als wäre sie zwanzig und nicht schon fünfundsechzig. Sie trug immer ein seitlich geschlitztes Seidenkleid und sah für ihr Alter recht passabel aus. Ich zog sie immer damit auf, daß sie als Japanerin ein chinesisches Kleid trug, worauf sie lachend erwiderte: »In Tokio machen wir mehr chinesische Sachen als in ganz China. Und vor allem bessere – viel bessere.« Das Lokal war gemütlich und ziemlich dunkel, mit einer Menge Bambus und Perlenvorhängen und Laternen.
    »Na, Bumper, wo haben Sie denn gesteckt?« begrüßte sie mich, als ich eintrat.
    »Hallo, Mutter!« Ich griff ihr unter die Arme und hob sie hoch, um sie auf die Wange zu küssen. Sie wog höchstens vierzig Kilo und wirkte richtig zerbrechlich. Aber wenn ich diese Begrüßungszeremonie nicht aufführte, geriet sie mächtig in Rage. Sie erwartete das einfach von mir, und die Gäste im Lokal hatten einen Heidenspaß, wenn sie uns dabei beobachteten. Und auch die Köche, die hübschen Bedienungen und Sumi, die Hosteß, erwarteten es von mir. Auch diesmal konnte ich sehen, wie Sumi, in einen grell orangegelben Kimono gekleidet, einem japanischen Gast auf die Schulter tippte, als ich das Lokal betrat.
    Normalerweise hielt ich die Mama-san für etwa eine Minute so hoch und scherzte dabei so lange mit ihr herum, bis es im ganzen Lokal niemanden mehr gab, der nicht leise vor sich hin kicherte – allen voran natürlich die Mama-san selbst. Und dann setzte ich sie wieder ab, damit sie jedem in Rufweite mitteilen konnte, ›wie stark unser Bumper ist‹.
    Obwohl mit meinen Beinen kein Staat mehr zu machen ist, sind meine Arme noch durchaus in Ordnung, und außerdem wog sie wirklich fast nichts. Sie sagte immer ›unser Bumper‹, was ich so auffaßte, daß ich offensichtlich auch zur J-Town gehörte – eine Vorstellung, die mir sehr gefiel. Die Polizisten von Los Angeles haben sowieso eine spezielle Vorliebe für die Buddha-Leutchen, da sie manchmal die einzigen zu sein scheinen, die auf dieser Welt noch etwas für Disziplin, Ordnung und harte Arbeit übrig haben. Ich habe schon Verkehrspolizisten gesehen, die irgendeinem einbeinigen Behinderten einen Strafzettel verpassen und gleichzeitig einen Japsen trotz eines ziemlich dicken Hunds ungeschoren davonkommen lassen, da sie praktisch keinerlei Beitrag zur allgemeinen Kriminalitätsrate leisten, obgleich sie gemeinhin als auffällig schlechte Autofahrer gelten. Im Lauf der letzten Jahre ist mir allerdings aufgefallen, daß in zahlreichen Verbrechensfällen immer häufiger Asiaten als Verdächtige in Frage kamen. Sollten also auch sie ihren guten Ruf verlieren, bliebe keine Gruppe mehr, vor der man Respekt haben könnte – nur noch Einzelpersonen.
    »Wir haben einen besonders schönen Tisch für Sie, Bumper«, begrüßte mich Sumi mit einem Lächeln, das mich fast das Essen vergessen ließ – aber nur fast. Allmählich nahm ich die Gerüche wahr, die in meine Nase drangen – Tempura, Reiswein, Teriyaki-Steak. Ich habe eine sehr feine Nase und kann einzelne Gerüche unterscheiden: Es sind wirklich nur die einzelnen, individuellen Dinge, die in dieser Welt zählen. Wenn man alles zusammenmantscht, bekommt man nichts als Gulasch oder Chop suey oder einen fettigen Eintopf. Solches

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