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Der müde Bulle

Der müde Bulle

Titel: Der müde Bulle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Wambaugh
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unentbehrlich. Sah man einmal von meinen Freundinnen und meinen Informanten ab, gab es praktisch nichts, wofür ich mein Geld hätte ausgeben können. Manchmal verstrich eine ganze Woche, ohne daß ich mit Ausnahme einiger Trinkgelder irgend etwas bezahlte. Im Gegensatz zu den meisten Polizisten gebe ich immer reichlich Trinkgeld.
    Wenn es darum ging, von den Leuten in meinem Revier etwas anzunehmen, hielt ich mich immer an eine Grundregel – kein Geld. Ich hatte das Gefühl, ich würde mich kaufen lassen, wenn ich das Geld genommen hätte, das mir die Leute zu Weihnachten anboten. Aber ich hatte nie das Gefühl, gekauft zu werden, wenn mir jemand ein Essen spendierte oder ein paar Flaschen Schnaps, wenn mir jemand einen Mantel zu einem Sonderpreis gab oder wenn ein Zahnarzt meine Zähne preisgünstiger behandelte oder wenn ich für eine neue Brille nur die Hälfte zahlte. All das war für mich kein Geld, und ich war auch niemals raffgierig. Ich nahm nie mehr an, als ich für meinen persönlichen Bedarf brauchte oder an Leute wie Cruz Segovia oder Cassie weiterverschenken konnte, wobei sich Cassie in letzter Zeit hin und wieder zu beschweren begann, ihre Wohnung würde allmählich wie eine Schnapsbrennerei aussehen. Außerdem nahm ich nie etwas von jemandem an, den ich vielleicht einmal würde verhaften müssen.
    Bevor wir zum Beispiel angefangen hatten, einander wirklich zu hassen, versuchte Marvin Heywood, der Besitzer des Pink Dragon, mir ein paar Kartons Scotch zuzustecken, und zwar vom Besten, was ich jedoch ablehnte. Mir war seit der Eröffnung dieses Ladens klar gewesen, daß sich dort nur Gesindel herumtreiben würde. Und es kam mir so vor, als würden dort täglich neue Kongresse von San-Quentin-Insassen abgehalten. Je länger ich darüber nachdachte, desto mehr beunruhigte mich die Vorstellung, daß nach meiner Pensionierung den Leuten im Pink Dragon niemand mehr auf die Finger klopfen würde, wie ich das getan hatte. Ich sorgte zum Beispiel dafür, daß Marvin zweimal für sechzig Tage die Alkoholausschanklizenz entzogen wurde. Darüberhinaus verursachte ich ihm monatlich sicher an die zweitausend Dollar Verdienstausfall, da es eine ganze Menge Ganoven gab, die aus Angst vor mir nicht mehr in dem Schuppen verkehrten.
    Ich sprang in meinen Wagen und beschloß ein letztesmal im Pink Dragon vorbeizuschauen. Als ich den Schwarzweißen auf dem Parkplatz hinter der Bar abstellte, sah mich ein Junkie von der Tür aus und rannte sofort hinein, um alle zu warnen. Ich nahm meinen Knüppel, schlang mir den Lederriemen um die Hand, was wir ja inzwischen eigentlich nicht mehr tun sollten, woran ich aber schon seit zwanzig Jahren gewöhnt war. Dann stieg ich die Betontreppe hinab und betrat die Kellerbar durch den Eingang, der hinter einem Vorhang versteckt war. Die Vorderfassade wird nämlich durch einen pinkfarbenen Drachenkopf geziert, dessen Maul die Eingangstür ist. Der Hinterausgang befindet sich unter dem Schwanz. Der Anblick dieser großspurigen idiotischen Drachenmaultür ärgerte mich jedesmal wieder von neuem. Ich ging deshalb durch die Hintertür hinein, praktisch durch den Arsch des Drachen. Während ich meine Augen langsam an die Dunkelheit zu gewöhnen versuchte und durch den Raum wandern ließ, tippte ich mit dem Knüppel leicht gegen die leeren Stühle. Die ganzen Kotzbrocken hatten sich im hinteren Teil des Lokals versammelt. Insgesamt waren jetzt, am frühen Nachmittag, vielleicht zehn Gäste anwesend, und Marvin grinste am Ende der Bar mit seinen eins fünfundneunzig auf einen übel aussehenden Kerl herunter, der sich gerade mit einem recht ordentlich gebauten Schwarzen im Armdrücken übte.
    Wenn Marvin auch grinste, so war ihm doch keineswegs danach zumute, denn er wußte von meiner Anwesenheit. Er brauchte nur zu sehen, wie ich mit meinem Knüppel gegen sein Mobiliar klapperte, und schon geriet sein Blut in Wallung. Genau das war auch der Grund, weshalb ich es tat. Wenn ich seinem Etablissement einen Besuch abstattete, gab ich mir immer alle Mühe, möglichst mies und eklig zu sein. Ich war hier schon in zwei Schlägereien verwickelt gewesen und wußte, daß Marvin jedesmal fast in seine Hosen gemacht hätte, weil er sich schließlich doch nicht getraut hatte, sich mit mir einzulassen. Beide Male hatte seine Vernunft gesiegt.
    Er wog mindestens zwei Zentner fünfunddreißig und war ein ganz schön harter Brocken. Das mußte man auch sein, wenn man einen Laden wie den Pink Dragon führen wollte,

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