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Der müde Bulle

Der müde Bulle

Titel: Der müde Bulle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Wambaugh
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Essen habe ich schon immer gehaßt.
    »Ich glaube, ich werde mich an die Sushi-Bar setzen«, sagte ich zu Sumi, die mir einmal gestanden hatte, daß sie eigentlich Gloria hieß. Aber die Leute erwarteten natürlich, daß eine Geisha einen japanischen Namen hatte, und Gloria, Amerikanerin dritter Generation, kam diesen Vorstellungen nach. Ich war in dieser Hinsicht ganz ihrer Meinung. Es hat keinen Sinn, die Leute zu enttäuschen.
    An der Sushi-Bar saßen noch zwei andere Männer, beides Japaner. Mako, der hinter der Theke stand, lächelte mir zu, wenn er auch der Aufgabe, die seiner nun harrte, mit gemischten Gefühlen entgegensah. Mama-san hatte er einmal erklärt, es wäre genauso schlimm, nur Bumper zu bedienen, wie an einer Sushi-Bar zu schuften, an der nur Sumos säßen. Aber was sollte ich machen? Ich war nun einmal verrückt nach diesen köstlichen kleinen Reisbällchen, die von Hand geformt und in Streifen von rosa Lachs und Polyp, Abalonen, Thunfisch und Krabben gewickelt wurden. Ich liebte die kleinen, versteckten Taschen mit Meerrettichfüllung, auf die man völlig überraschend biß und die einem die Tränen in die Augen trieben. Und dann die Schale mit Suppe, vor allem mit Sojabohnen und Algen, und das alles trank man dann nach japanischer Art aus der Schale.
    Ich putzte meinen Teller schneller leer, als Mako nachfüllen konnte, und ich muß wohl an der Sushi-Bar wie ein Büffel gewirkt haben. So sehr ich mich auch bemühte, mich etwas zurückzuhalten und mich der vielgerühmten japanischen Selbstdisziplin zu befleißigen, schaufelte ich doch das Essen in mich hinein wie ein Wilder und putzte die kleinen Teller leer, während Mako grinsend und schwitzend voll damit beschäftigt war, sie wieder zu füllen. Mir war natürlich klar, daß das für die Sushi-Bar eines guten Restaurants absolut kein Benehmen war. Eigentlich war dieser Ort nur für die Gourmets bestimmt, die Kenner japanischer Küche, und ich schlug zu wie eine blaue Heuschrecke. Aber, so wahr mir Gott helfe, Sushi zu essen, ist für mich schon der halbe Himmel. Ehrlich gesagt, ich wäre damit vollauf zufrieden und würde auf der Stelle zum Buddhismus übertreten, wenn der Himmel eine Sushi-Bar wäre.
    Ich hatte nur ein Plus zu verzeichnen, das mich davor bewahrte, die Achtung der Japaner zu verlieren – ich konnte mit den Stäbchen umgehen wie einer von ihnen. Das hatte ich nach dem Krieg in Japan gelernt, und da ich während der letzten zwanzig Jahre regelmäßig in der Geisha Doll und verschiedenen anderen Restaurants von J-Town esse, ist das also weiter kein Wunder. Selbst ohne meine Uniform brauchten sie mich nur mit den Stäbchen hantieren sehen, um zu wissen, daß ich nicht einfach irgendein Tourist war, der hier eben mal aus Versehen hereingeschneit war. Manchmal, wenn ich gerade nicht daran dachte, aß ich allerdings mit beiden Händen. Ich konnte dieses fantastische Essen einfach nicht schnell genug in mich hineinstopfen.
    An kühleren Tagen trank ich zum Essen immer Reiswein oder heißen Sake, aber heute begnügte ich mich mit Eiswasser. Als ich mit dem Essen fertig war – und von der Menge wären sicher zwei bis drei kräftig gebaute Japaner satt geworden – begann ich Tee zu trinken, wobei Mama und Sumi öfter bei mir vorbeikamen, um sich zu vergewissern, ob ich auch genug hatte und ob mein Tee schön heiß war. Außerdem versuchten sie, mich zu etwas Tempura zu verführen, und die zart gebratenen Krabben sahen tatsächlich so gut aus, daß ich mir noch ein halbes Dutzend davon einverleibte.
    Wäre Sumi nicht zwanzig Jahre zu jung gewesen, hätte ich sicher auch erwogen, mich von ihr verführen zu lassen. Aber sie war so zart und schön und so jung, daß ich daran nicht einmal zu denken wagte. Darüberhinaus gehörte sie ja auch zu meinem Revier. Und ich muß Rücksicht darauf nehmen, was die Leute über mich denken. Aber trotzdem war es meinem Appetit jedesmal wieder von neuem zuträglich, in einem Lokal zu essen, wo es ein paar hübsche Frauen gab. Dabei muß ich jedoch gestehen, daß ich sie frühestens zu bemerken begann, wenn ich halbwegs gesättigt war. Wenn ich etwas esse, was mir wirklich schmeckt, kriege ich nichts mehr von dem mit, was um mich herum passiert.
    Ich konnte nie begreifen, daß Mama mir jedesmal dankbar war, wenn ich ihre halbe Küche leerputzte. Natürlich ließ sie kein einziges Mal zu, daß ich für eine Mahlzeit zahlte. Statt dessen bedankte sie sich mindestens zehnmal bei mir, bevor ich das

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