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Der müde Bulle

Der müde Bulle

Titel: Der müde Bulle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Wambaugh
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in dem vor allem Buchmacher, Nutten, kleine Ganoven, Giftler und Dealer und sonstige zwielichtige Gestalten beiderlei Geschlechts und jeden Alters verkehrten. Obwohl in einschlägigen Kreisen allgemein bekannt war, daß der Schuß, der eines Nachts aus einem vorüberfahrenden Wagen auf mich abgefeuert worden war, aus der Kanone eines von Marvin gedungenen Killers stammte, hatte ich es doch nie geschafft, den Schuft so zu provozieren, daß er auf mich losging. Und eigentlich hatte ich erst seit diesem Vorfall angefangen, dem roten Drachen auf seinem verdammten Schwanz herumzutrampeln. Obwohl ich ihm natürlich nichts nachweisen konnte, wachte und schlief ich ab diesem Zeitpunkt mehr oder weniger vor seiner Eingangstür, was zur Folge hatte, daß der Pink Dragon plötzlich auffällig schlecht besucht wurde. Als Marvin das nach ein paar Monaten zu dumm wurde, hetzte er zwei Anwälte auf meinen Captain und die Polizeidirektion los, um mich loszuwerden. Darauf zog ich mich, so weit dies nötig war, wieder zurück, warf ihm aber dennoch nach Kräften Knüppel zwischen die Beine.
    Wenn ich nicht in Pension gegangen wäre, hätte Marvin noch einiges von mir zu spüren bekommen. Wenn man nämlich seine zwanzig Dienstjahre auf dem Buckel hat, kann man es sich durchaus mal erlauben, ein bißchen über die Stränge zu schlagen. Ich meine, wenn man in Schwierigkeiten gerät, ganz gleich, welcher Art, können sie einem zumindest die Pension nicht mehr streichen, selbst wenn sie einen vom Dienst suspendieren. Wenn ich also noch weitergemacht hätte, wäre noch einiges auf den guten Marvin zugekommen. Zum Teufel mit den Anwälten und der Polizeidirektion! Ich würde diesem Drachen gehörig auf dem Rücken herumtrampeln. Bei diesem Gedanken sah ich auf meine Schuhe, Größe achtundvierzig, hinunter, die typischen Revierbeamtenlatschen – hoch, mit metallenen Ösen für die Senkel, klobig, mit runder Kappe und Knöchelstütze. Vor einigen Jahren waren die Dinger bei den jungen Schwarzen eine Weile richtig in Mode gewesen und gelangten so wieder zu Ehren. Sie hießen gemeinhin ›Altmännertreter‹ und waren tatsächlich enorm weich und bequem, aber häßlich wie die Sünde. Wahrscheinlich würde ich in Zukunft nie mehr andere Schuhe tragen. Außerdem hatten meine Altmännertreter schon in zu viele Ärsche getreten, die das vollauf verdient hatten, als daß ich mich von ihnen trennen könnte.
    Marvin bekam es schließlich satt, die beiden Armdrücker zu beobachten und so zu tun, als würde er mich nicht bemerken.
    »Was willst du hier, Morgan?« begrüßte er mich. Selbst in dem Schummerlicht konnte ich sehen, wie sein Gesicht rot anlief und wie er das Kinn vorschob.
    »Ich wollte nur mal sehen, wie viele Schleimsäcke sich heute hier rumtreiben, Marvin«, entgegnete ich in einer solchen Lautstärke, daß vier oder fünf von ihnen unwillkürlich aufsahen. Heutzutage hatte man rasch irgendwelche Disziplinarmaßnahmen am Hals, wenn man sich eines solchen Tons befleißigte, obwohl sich diese Idioten andererseits halb kaputt gelacht hätten, wenn ich höflich oder zumindest normal aufgetreten wäre.
    Das einzige echte weibliche Wesen in der ganzen Bar war eine mordsmäßig aufgetakelte Nutte. In so einem Laden mußte man ja erst einmal jedermanns sanitäre Anlagen vor Ort überprüfen, um feststellen zu können, was daran nun eigentlich echt war. Zwei weitere Gestalten in Frauenkleidern waren Transvestiten, und der Rest setzte sich aus ein paar Zuhältern und Kleinganoven zusammen. Ich erkannte auch einen schleimigen Buchmacher namens Harold Wagner. Einer der Zuhälter war noch ziemlich jung, vielleicht um die Zweiundzwanzig. Zumindest war er noch jung genug, um sich durch meine Bemerkung auf den Schlips getreten zu fühlen, zumal sie in Gegenwart der Tunte in dem roten Minikleid gefallen war, die vermutlich zu ihm gehörte. Er murmelte etwas vor sich hin, worauf ihm Marvin sagte, er sollte sich wieder beruhigen. Natürlich wollte er vermeiden, daß jemand in seinem Laden verhaftet wurde. Der junge Bursche sah aus, als wäre er ordentlich mit Gras umnebelt. Wer war das heutzutage nicht?
    »Ist das dein neuer Gespiele, Roxie?« fragte ich die Tunte in dem roten Kleid, deren richtiger Name John Jerey Alton lautete.
    »Ja«, erwiderte die Tunte mit schriller Falsettstimme und gab dem jungen Burschen mit einer Kopfbewegung zu verstehen, daß er den Mund halten sollte. Er war einige Zentimeter größer als ich und hatte einen mächtigen

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