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Der müde Bulle

Der müde Bulle

Titel: Der müde Bulle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Wambaugh
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offensichtlich betrunken sein, findest du etwa nicht? Und wenn du nicht aufpaßt, könnte ich sogar noch auf die Idee kommen, daß du gegen eine Verhaftung Widerstand leistest. Das möchtest du doch ganz sicher nicht, oder, Marvin?«
    »Dich werden wir schon noch kriegen, Morgan«, zischte Marvin hilflos. »Eines Tages wird dich das deinen Job kosten.«
    »Wenn ihr Saftsäcke imstande wärt, mich um meinen Job zu bringen, könnte er mir gestohlen bleiben«, konterte ich, wobei mein Hochgefühl bereits wieder abklang, da die Sache nun zu Ende war.
    Der junge Bursche war nicht so voll, wie ich gedacht hatte. Er benahm sich relativ normal, als wir ins Freie und in die mehr oder weniger frische Los-Angeles-Luft hinaustraten.
    »Ich bin nicht betrunken«, wiederholte er auf dem ganzen Weg zum Glashaus, wobei er sich ständig sein blondes Haar aus dem Gesicht schüttelte, da ich ihm inzwischen Handschellen angelegt hatte. Das Glashaus ist die Hauptwache. So wird es wegen seiner vielen Fenster genannt.
    »Nicht schlecht, wie du dich da eben ins Gefängnis geredet hast, mein Junge.« Ich steckte mir eine Zigarre an.
    »Sie können nicht einfach einen nüchternen Menschen einlochen, als wäre er besoffen – und das nur, weil er Sie ein Schwein genannt hat«, quengelte das Jüngelchen. Wie er sprach und aussah, hielt ich ihn für einen stinknormalen Mittelschichtstudenten, der einen gewissen perversen Reiz darin sah, beim Ganovenvolk herumzuhängen. Und vielleicht hatte er in seinem Innersten auch selbst etwas von einem Ganoven an sich.
    »Es gibt viel mehr Typen, die wegen ihrer Quatscherei ins Gefängnis kommen als aus anderen Gründen«, klärte ich ihn auf.
    »Ich möchte einen Anwalt«, nörgelte er weiter.
    »Du kannst einen anrufen, sobald du sitzt.«
    »Diese Leute werden für mich aussagen. Sie werden bezeugen, daß ich nüchtern war. Ich werde Sie wegen dieser unerlaubten Festnahme belangen.«
    »Damit wirst du nicht weit kommen, mein Junge. Das haben schon mehr Leute versucht. Und die Arschlöcher aus dem Dragon würdest du um diese Zeit nicht einmal vor Gericht kriegen, wenn du eine ganze Kiste mit Reiseweckern unter ihnen verteilst.«
    »Wie können Sie mich wegen Trunkenheit einlochen? Werden Sie vielleicht bei Gott schwören, daß ich betrunken war?«
    »Hier im Revier gibt es keinen Gott, mein Guter, und im Pink Dragon würde er sich schon gar nicht blicken lassen. Und die Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes der Vereinigten Staaten haben hier in dieser Umgebung auch nicht viel Wirkung. Deshalb war ich gezwungen, mir meine eigenen Gesetze zu machen, Kleiner, und eines davon hast du gerade verletzt. Ich werde dich demnach für schuldig befinden müssen, weil du einem Polizisten den Respekt versagt hast.«

 

    5.
    Nachdem ich den jungen Burschen eingeliefert hatte, wußte ich absolut nicht mehr, was ich tun sollte. Ich hatte nun dieses Leeregefühl, das mich ziemlich deprimierte. Zwar dachte ich wieder über den Hoteldieb nach, fühlte mich aber zu träge, um irgend etwas zu unternehmen. Es war dieses Leeregefühl. Meine Stimmung war auf dem Nullpunkt angelangt, als ich in die Figueroa einbog. Dort sah ich in der Nähe einer Telefonzelle einen Post-Buchmacher namens Zoot Lafferty stehen. Früher hatte er sich immer auf der Main und dem Broadway rumgetrieben, aber inzwischen hatte er die Figueroa zu seinem Revier erklärt. Wenn wir es je schaffen sollten, ihn noch einen Häuserblock weiter zum Harbor Freeway zu ekeln, würden wir diesen Dreckskerl eines Tages von der Überführung stoßen können, dachte ich in meiner trübseligen und deshalb mordgierigen Stimmung.
    Lafferty zählte vor allem die Geschäftsleute in dieser Gegend zu seinen Kunden. Er nahm ihre Wetten entgegen und zeichnete sie in einem frankierten Kuvert auf, das er an sich selbst adressiert hatte. Und er hing ständig in der Nähe eines Briefkastens und einer Telefonzelle herum. Wenn er jemanden sah, den er für einen Beamten von der Sitte hielt, rannte er schnurstracks zum Briefkasten und warf den Brief ein. Auf diese Weise trug er nie irgendwelches Beweismaterial, wie zum Beispiel Wettaufzeichnungen oder Schuldscheine, bei sich, aufgrund derer er überführt werden könnte. Er bekam aber trotzdem schon am nächsten Tag mit der Post seine Wettunterlagen, und das war früh genug, um die fälligen Beträge auszuzahlen beziehungsweise einzutreiben. Wie alle Buchmacher hatte er vor Leuten von der Sitte in Zivilkleidung enormen Respekt,

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