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Der müde Bulle

Der müde Bulle

Titel: Der müde Bulle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Wambaugh
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wissen. »Kriminologie?«
    »Nein, ich mache gerade meinen Abschluß in Politologie, und dann würde ich ganz gern Jura studieren.« Er sah mich dabei nicht an. Das bin ich von jüngeren Polizisten gewohnt, besonders, wenn es sich um einigermaßen gebildete Burschen handelt wie in Wilsons Fall. Sie wissen nie so recht, wie sie sich verhalten sollen, wenn sie einen alten Hasen wie mich vor sich haben.
    Einige werden dann betont vorlaut wie etwa Hawk und tun so, als gingen sie selbst schon jahrelang Streife, was natürlich ausnahmslos lächerlich wirkt. Ein paar Jungs geben sich bescheidener, als sie das normalerweise sind, weil sie glauben, ein alter Fuchs wie ich würde sie gleich in der Luft zerreißen, wenn sie mal aus Unerfahrenheit einen Fehler machen. Wieder andere, wie zum Beispiel Wilson, verstellen sich kaum. Allerdings denken sie wie die meisten jungen Leute, daß ein alter Knacker, der es in zwanzig Jahren nicht einmal zum Sergeant gebracht hat, praktisch ein Analphabet sein muß, so daß sie in der Regel nur über die simpelsten Belange des Polizeialltags mit einem sprechen, um einen nicht bloßzustellen. Diesen Burschen ist es in der Regel auch, wie jetzt Wilson, etwas unangenehm, wenn man sie mit einem Buch in der Hand sieht. Die Kluft zwischen den Generationen ist in diesem Job genauso tief wie anderswo, mit einer Ausnahme – die mit dieser Arbeit verbundenen Risiken helfen sie sehr rasch zu überbrücken. Nach ein paar Konfrontationen mit wirklich gefährlichen Situationen verlieren diese jungen Burschen ziemlich schnell ihre Unschuld. Und das ist es eigentlich, was die Kluft zwischen den Generationen ausmacht – die Unschuld.
    »Ich hätte da eine rechtliche Frage«, verkündete Hawk und schlüpfte in seine mächtig weit ausgestellte Hose. Wir sind zu militärisch und zu streng, um auffällige Koteletten oder Schnurrbärte zu dulden, sonst hätte er sicher welche gehabt. »Wenn man Selbstmord begeht, kann man dann wegen Mordes belangt werden?«
    »Bis jetzt war das zumindest noch nicht der Fall«, erwiderte Wilson und grinste, während Hawk kichernd in ein melonengrünes Samthemd schlüpfte.
    »Nur weil in unserem Staat alles toleriert wird«, warf ich ein, worauf mir Wilson amüsiert zulächelte.
    »Was ist das denn für ein Buch in Ihrem Schließfach, Wilson?« Ich deutete mit dem Kopf auf ein dickes Taschenbuch im obersten Regal.
    »›Kanonen im August‹.«
    »Tatsächlich? Das kenne ich auch. Über den Ersten Weltkrieg habe ich schon eine ganze Menge gelesen. Wie finden Sie es denn?«
    »Ganz interessant.« Dabei sah er mich an, als hätte er plötzlich das Geheimnis des Lebens entdeckt. »Ich muß es für einen Kurs in Geschichte lesen.«
    »Als ich mich damals intensiv mit dem Ersten Weltkrieg beschäftigte, habe ich mich auch durch T. E. Lawrences ›Sieben Pfeiler der Weisheit‹ gefressen. Ich habe diesen Schinken von vorn bis hinten durchgewälzt. In meiner Wohnung sind damals überall Bücher und Landkarten herumgelegen. Dieser kleine Knirps hat ja nur knapp sechzig Kilo gewogen, aber davon waren sicher zwanzig Köpfchen und noch mehr Courage. Der Bursche hatte wirklich was auf dem Kasten.«
    »Ja, ein richtiger Einzelkämpfer.« Wilson sah mich nun zum erstenmal richtig an.
    »Ganz genau, und das ist es auch, was mir an ihm gefällt. Noch besser hätte es mir allerdings gefallen, wenn er das nicht alles so offen beschrieben hätte, daß es jeder lesen kann – obwohl ich dann andrerseits nichts darüber erfahren hätte. Vielleicht bekommt es so ein Kerl mit der Zeit einfach satt, das Ganze nur zu genießen. Vielleicht muß man am Ende einfach alles noch einmal zusammenfassen, um zu sehen, ob es auch einen Sinn gehabt hat.«
    »Vielleicht sollten Sie auch Ihre Memoiren schreiben, wenn Sie mal endgültig Ihre Uniform ausziehen, Bumper«, schlug Wilson vor. »Hier sind Sie ja mindestens genauso bekannt wie Lawrence von Arabien.«
    »Wieso nehmen Sie eigentlich nicht Geschichte als Hauptfach? Wenn ich aufs College ginge, wäre das mein Fach. Nach ein paar Kursen in Strafrecht ist doch dieser ganze juristische Kram nur noch Quatsch – nichts als Verträge und Klauseln, eine einzige Rechtsverdreherei. Das wäre mir viel zu öde.«
    »Ach, wenn man sich dafür interessiert, kann das richtig spannend sein«, meinte Wilson, während Hawk mit einem leicht beleidigten Gesichtsausdruck aufstand und ging, weil er sich nicht an dem Gespräch beteiligen konnte.
    »Kann schon sein«, antwortete

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