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Der müde Bulle

Der müde Bulle

Titel: Der müde Bulle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Wambaugh
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ich. »Sie müssen ja schon ein paar Jahre aufs College gegangen sein, bevor Sie Polizist wurden.«
    »Ja, zwei Jahre«, bestätigte mir Wilson. »Aber jetzt geht das alles wesentlich langsamer und schleppender voran, wenn man voll arbeitet und nebenbei noch studiert.«
    »Na, Sie werden das schon hinkriegen.« Ich setzte mich neben Wilson auf die Bank und steckte mir eine Zigarre an. Während sich ein Teil von mir auf das Gespräch mit dem jungen Mann konzentrierte, war ein Teil meiner Gedanken ganz woanders. Ich hatte das ungute Gefühl – ein Gefühl, das manchmal richtig beängstigend werden kann –, daß ich schon einmal so mit ihm gesessen und mich mit ihm unterhalten hatte. Oder vielleicht war es auch jemand anderer gewesen. Und dann dachte ich: Ja, das war es – vielleicht erinnerte mich die Locke in seiner Stirn an Billy, und ich spürte eine zitternde Leere in meinem Magen.
    »Wie alt sind Sie denn, Wilson?«
    »Sechsundzwanzig.«
    Ein stechender Schmerz durchzuckte mich, so daß ich mir fluchend den Bauch rieb. Billy wäre inzwischen auch Sechsundzwanzig gewesen.
    »Ich wünsche Ihnen nur, daß Ihr Magen durchhält, wenn Sie in mein Alter kommen. Waren Sie eigentlich beim Militär?«
    »Ja.«
    »Vietnam?«
    Er nickte.
    »Und? Fanden Sie's sehr schlimm?« fragte ich und erwartete, daß er die Frage wie alle jungen Burschen bejahen würde.
    »Der Krieg war natürlich schrecklich. Das hat mich ganz schön fertiggemacht. Aber die Zeit beim Militär an sich fand ich gar nicht so schlimm, wie ich es befürchtet hatte.«
    »So ähnlich ging es mir auch.« Ich lächelte. »Ich war acht Jahre beim Marine Corps.«
    »In Korea?«
    »Nein, dafür bin ich schon zu alt. Ich bin 1942 dazugekommen, und 1950, nach meiner Entlassung, ging ich dann zur Polizei.«
    »Dann waren Sie ja ganz schön lange dabei.«
    »Zu lange. Der Krieg hat mir schwer zu schaffen gemacht, aber der Frieden kann manchmal auch ziemlich schlimm werden, wenn man beim Militär ist.«
    Ich sagte ihm allerdings nicht ganz die Wahrheit, da sie ihm vielleicht nicht schmecken würde. In Wahrheit macht mir der Krieg zwar Angst, aber ich hasse ihn nicht. Nicht daß er mir gefallen würde, aber ich kann ihn auch nicht hassen. Ich weiß, daß es heutzutage modern ist, gegen den Krieg zu sein, aber auf mich trifft das nicht zu.
    »Als ich aus Vietnam heimkam, schwor ich mir, nie wieder eine Waffe in die Hand zu nehmen, und jetzt bin ich bei der Polizei«, sagte Wilson. »Soll daraus einmal einer schlau werden.«
    Ich fand es ganz enorm, daß er mir so etwas sagte. Plötzlich war der Altersunterschied nicht mehr zu spüren. Dieser junge Kerl erzählte mir Dinge, die er vermutlich sonst nur seinen jungen Kollegen in den einsamen Stunden nach zwei Uhr früh gestand. In jenen Stunden, wenn man anfing, gegen den Schlaf zu kämpfen, oder sich mit dem Streifenwagen an ein verstecktes Plätzchen zurückzog, um vielleicht für eine Stunde ein Nickerchen zu machen, ohne sich dabei wirklich ausruhen zu können … Da war einfach immer die Angst, ein Sergeant könnte einen erwischen, und auf den Funk mußte man ebenfalls aufpassen. Was würde geschehen, wenn man so tief schlief, daß man einen wichtigen Funkspruch überhörte?
    »Vielleicht bringen Sie zwanzig Dienstjahre hinter sich, ohne je Ihre Waffe abfeuern zu müssen«, tröstete ich ihn.
    »Mußten Sie denn mal zur Waffe greifen?«
    »Ein paarmal schon.«
    Zum Glück ließ er es dabei bewenden und stellte keine Fragen, wie das Zivilisten immer tun – zum Beispiel: »Was ist es für ein Gefühl, wenn man auf jemanden schießt?« Ich halte das alles für absoluten Blödsinn, weil man nicht viel dabei fühlt, wenn man als Soldat im Krieg oder als Polizist Schüsse abfeuert. Wenn man tut, was getan werden muß weshalb sollte man da etwas fühlen? Ich habe jedenfalls nie was gespürt. Wenn die Angst um das eigene Leben vorbei und das Adrenalin verbraucht ist, bleibt nichts übrig. Aber wer kann schon der Wahrheit ins Auge sehen? Da die Leute offensichtlich lieber irgendwelchen Blödsinn hören, richte ich mich eben nach ihren billigen Klischeevorstellungen.
    »Was wollen Sie denn machen, wenn Sie Ihr Jurastudium abgeschlossen haben?« fragte ich. »Scheiden Sie dann aus dem Dienst aus?«
    »Wenn ich je damit fertig werden sollte, werde ich vielleicht schon kündigen«, erwiderte Wilson lachend. »Aber im Augenblick bezweifle ich, daß ich je fertig werde.«
    »Es könnte ja sein, daß Sie dann gar nicht mehr

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