Der müde Bulle
um Heu zu fressen und einen Wagen zu ziehen, Nacho«, begrüßte ich ihn. Und dann kamen schon vier Kinder, aufgeregt schnatternd und mit leuchtenden Augen, auf mich zugerannt. Sie wußten sehr wohl, daß ich nie zum Abendessen kam, ohne ihnen etwas mitzubringen.
»Wo ist denn Dolores?« erkundigte ich mich. Dolores, nach Esteban der älteste Cruz-Sprößling, war mein Liebling – das genaue Ebenbild ihrer Mutter in jungen Jahren. Sie studierte auf dem College Physik und war mit einem Kommilitonen verlobt.
»Dolores ist mit Gordon aus, was denn sonst?« klärte mich Ralph auf, ein pausbäckiger Zehnjähriger und das Nesthäkchen der Familie, das ständig für Unruhe sorgte und die ganze Familie in Trab hielt.
»Und wo ist Alice?«
»Bei einer Freundin – spielen«, antwortete Ralph. Die vier, Nacho, Ralph, Maria und Marta, waren fast am Platzen, und ich genoß das richtig, obwohl es eigentlich eine Schande war, sie dieses blöde Theater mitspielen zu lassen.
»Nacho«, bemerkte ich scheinbar wie beiläufig, »würdest du vielleicht meine Autoschlüssel nehmen und ein paar Sachen aus dem Kofferraum holen?«
»Ich will helfen!« kreischte Marta.
»Ich auch!« fiel Maria ein und sprang aufgeregt umher ein Traum von einem elfjährigen Mädchen in einem rosa Kleid, rosa Söckchen und schwarzen Schuhen. Sie war die Hübscheste und würde sicher eines Tages eine atemberaubend schöne Frau werden.
»Das mache ich schon allein«, wimmelte Nacho sie ab. »Ich brauche euch nicht.«
»Ach, Scheiße!« nörgelte Ralph.
»Sagt man denn so etwas, Rafael?« wies ihn Maria zurecht, und ich mußte mich regelrecht abwenden, um nicht vor Lachen zu platzen, als ihr Ralph seine rosige kleine Zunge herausstreckte.
»Mama!« schrie Maria. »Ralph hat etwas Unanständiges getan!«
»Blöde Petzliese«, zischte Ralph und rannte mit Nacho zu meinem Auto.
Immer noch lachend, schlenderte ich in die Küche zurück, wo mich Cruz und Socorro lächelnd erwarteten, da sie wußten, wieviel Spaß ich mit ihren Kindern hatte.
»Geht ihr zwei Männer inzwischen schon mal ins Wohnzimmer, Cruz«, schlug Socorro vor. »Das Essen ist erst in zwanzig Minuten fertig.«
»Also gut, wenn du meinst … Komm, Bumper.« Cruz nahm vier Flaschen Bier aus dem Kühlschrank. »Ich würde wirklich gern wissen, wieso sich diese mexikanischen Frauen mit zunehmendem Alter zu regelrechten Tyrannen entwickeln. In der Jugend sind sie nämlich richtig zahm und brav.«
»Im Alter! Meine Güte! Hör dir diesen Viejo mal an, Bumper!« Socorro deutete mit ihrem Kochlöffel auf Cruz, während wir ins Wohnzimmer gingen, wo ich mich auf Cruz' Drängen in seinem Lieblingssessel niederließ. Er verrückte sogar noch extra das Sofa, damit ich die Beine hochlegen konnte.
»Also wirklich, Cruz …«
»Nichts da, Bumper! Du bist heute abend der Ehrengast.« Er öffnete mir eine Flasche Bier. »Du siehst hundemüde aus, und ich fürchte, es wird lange dauern, bis wir dich wieder mal einladen können.«
»Ach, mit dem Flugzeug ist es doch nur eine Stunde hier runter. Cassie und ich werden sicher ab und zu mal nach Los Angeles kommen. Außerdem wirst du uns bald besuchen – mit Socorro und den Kindern.«
»Mit der ganzen Schwadron?« Cruz lachte.
»Wir werden uns bestimmt öfter mal sehen.« Während ich dies sagte, mußte ich jedoch bereits gegen das bedrückende Gefühl ankämpfen, daß wir uns vermutlich nur noch selten treffen würden.
»Klar, Bumper.« Cruz saß mir in dem anderen alten Sessel gegenüber, der fast genauso abgenutzt und bequem wie meiner war. »Ich hatte wirklich Angst, dieses eifersüchtige Luder würde dich nie aus den Klauen lassen.«
»Meinst du mein Revier?«
»Natürlich. Was denn sonst?« Er nahm ein paar kräftige Schlucke von seinem Bier, und ich sagte mir wehmütig, wie sehr mir Cruz fehlen würde.
»Wieso bist du heute abend in dieser philosophischen Stimmung? Mein Revier als Nutte zu beschimpfen – und dieser ganze Kram …«
»Ich habe heute eben meine poetische Ader.«
»Und einige Mengen an Cerveza hast du wohl auch schon intus, was?«
Mit einem Zwinkern warf Cruz einen kurzen Blick zur Küche, wo wir Socorro herumhantieren hören konnten.
Darauf trat er an seine kleine Mahagoni-Hausbar und nahm eine halbvolle Flasche Mescal heraus.
»Ich will nicht, daß Sukie mich das Zeug da trinken sieht«, flüsterte er verschwörerisch. »Meine Leber ist immer noch nicht ganz in Ordnung, und ich sollte eigentlich die Finger von
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