Der müde Bulle
der Küche?«
»Ja. Die Kinder sind hinten im Garten.«
Ich ging durch das große Speisezimmer in die Küche, wo Socorro mit dem Rücken zu mir stand und gerade Reis in zwei große Schüsseln füllte. Nach zwanzig Ehejahren und neun Kindern war sie natürlich nicht mehr die Jüngste, aber ihr langes schwarzes Haar hatte nach wie vor seinen lebendigen Glanz. Und obwohl sie inzwischen zehn Kilo zugenommen hatte, war sie immer noch eine jugendliche, energiegeladene Frau mit den weißesten Zähnen, die ich je gesehen hatte. Ich schlich mich hinter sie und kitzelte sie zwischen den Rippen.
»He!« Sie fuhr zusammen und ließ den großen, hölzernen Kochlöffel fallen. »Bumper!«
Ich umarmte sie von hinten, während Cruz mit einem amüsierten Kichern sagte: »Aus deiner Überraschung ist wieder mal nichts geworden. Er hat schon von der Tür aus gerochen, was du alles gekocht hast.«
»Dieser Kerl ist doch gar kein Mensch«, meinte sie lachend. »Oder hast du schon mal einen Menschen gesehen, der so eine Nase hat?«
»Genau das habe ich ihm auch gesagt.«
»Nimm doch Platz, Bumper!« forderte mich Socorro auf und deutete auf den alten Küchentisch, der in der riesigen Küche etwas verloren wirkte, obwohl er ziemlich groß und massiv war. Aber ich hatte schon erlebt, daß es in dieser Küche keinen Fleck gegeben hatte, auf den man seinen Fuß hätte setzen können – zum Beispiel zu Weihnachten, als die Kinder noch klein gewesen waren und ich ihnen Geschenke mitgebracht hatte. Damals war buchstäblich der ganze Boden voller Kinder und Spielsachen gewesen, so daß man nichts mehr von dem Linoleumbelag sehen konnte.
»Ein Bier, Bumper?« fragte Cruz und öffnete zwei vor Kälte beschlagene Flaschen, ohne auf meine Frage zu antworten. Wir tranken beide am liebsten aus der Flasche, und ich hatte meine fast leer getrunken, als ich sie wieder absetzte. Cruz, der meine Gepflogenheiten kannte, öffnete gleich eine neue.
»Cruz hat mir schon alles erzählt, Bumper. Das freut mich für dich.« Socorro schnitt gerade Zwiebeln, und ihre Augen tränten leicht.
»Weißt du, ich hab ihr gesagt, daß du schon dieses Wochenende aufhörst und Cassie begleitest«, erklärte Cruz.
»Ich finde das gut so, Bumper«, fuhr Socorro fort. »Es hat doch keinen Sinn, noch länger hierzubleiben, wenn Cassie schon umgezogen ist. Ich habe mir deswegen ehrlich Sorgen gemacht.«
»Sukie hatte Angst, deine Puta könnte dich Cassie abspenstig machen, während sie schon oben in San Franzisco wäre und du noch hier.«
»Meine Puta?«
»Dein Revier«, klärte mich Cruz auf und nahm einen Schluck Bier. »Socorro nennt es immer Bumpers Puta.«
»Cuidao!« schimpfte Socorro mit Cruz. »Die Kinder sind direkt vor dem Fenster.« Ich konnte sie lachen hören, und Nacho schrie irgend etwas, worauf die Mädchen zu kreischen anfingen.
»Nachdem du das Revier jetzt verläßt, können wir ja darüber sprechen, oder nicht, Bumper?« meinte Cruz lachend. »Den Reizen dieser Puta konntest du dich all die Jahre nicht entziehen.«
In diesem Moment fiel mir zum erstenmal auf, daß Cruz, seinem Grinsen und seiner Stimme nach zu schließen, schon ein paar intus gehabt haben mußte, bevor ich gekommen war. Ich sah Socorro kurz an, worauf diese nickte und sagte: »Ja, unser alter Borracho säuft schon, seit er von der Arbeit nach Hause gekommen ist. Er möchte Bumpers Junggesellenabschied gebührend feiern.«
»Sei nicht zu streng mit ihm!« bat ich grinsend. »Er ist doch nur ganz selten betrunken.«
»Wer ist hier betrunken?« warf Cruz gereizt ein.
»Du stehst zumindest kurz davor, Pendejo«, meinte Socorro, worauf Cruz etwas in Spanisch murmelte. Ich mußte lachen und trank mein Bier aus.
Mein Freund seufzte. »Wenn da nicht die Pute gewesen wäre, hätte es Bumper längst zum Captain gebracht.«
»Aber sicher.« Ich ging zum Kühlschrank und nahm für Cruz und mich zwei weitere Bierflaschen heraus. »Willst du auch eines, Sukie?«
»Nein, danke«, erwiderte Socorro, und Cruz rülpste ein paarmal.
»Ich glaube, ich schau mal nach draußen und sag den Kindern guten Abend.« Dabei fiel mir das Geschenk im Kofferraum meines Wagens ein, das ich am Montag gekauft hatte, nachdem Cruz mich zum Essen eingeladen hatte.
»Na, ihr Banditen!« rief ich, als ich ins Freie trat, und Nacho brüllte: »Buuuuumper.« Er schwang sich an einem Seil zu mir, das von einem Ast der riesigen Eiche hing, die fast den ganzen Garten ausfüllte.
»Langsam wirst du groß genug,
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