Der Müllmann
wer ich war.
Sie tut nur so.
Das war auch meine Meinung. Aber das hier war ihr Spiel, also hielt
ich es für besser, mich an ihre Regeln zu halten. Wenigstens zum Teil. Wir
saßen uns gegenüber, zwischen uns der Tisch, auf dem sich eine alte Remington-Schreibmaschine
und ein Aschenbecher befanden. Schräg hinter ihr konnte ich einen modernen
Computerarbeitsplatz sehen, jede freie Oberfläche war mit Akten vollgestapelt,
und die Kabel von Monitor und Tastatur sowie einem Drucker, der aussah, als
könne er auch ein Raumschiff fliegen, baumelten leer an der Stelle, an der sich
wohl ein Computer befunden hatte. Irgendwann einmal.
Sie sah gerade auf ihr Schreibbrett hinab, auf dem wohl der Bericht
des Streifenbeamten festgeklemmt war, der meine Angaben zur Person aufgenommen
hatte, dann wieder zu mir zurück und hob eine Augenbraue an.
»Wollen Sie mir meine Frage nicht beantworten?«
Welche Frage?
Die nach meinem Beruf!
»Richtig. Meine Aufgabe ist es, schwierige Altlasten zu entsorgen
oder zu recyceln. Früher nannte man das einen Müllmann.« Ich lächelte
verbindlich, während ich es genoss, sie in aller Ruhe aus der Nähe anzusehen.
Abgesehen von ein paar feinen Fältchen hatte sie sich kaum verändert. »Genauer
gesagt, bin ich eher ein Berater. Ich vermittele zwischen den
Entsorgungsunternehmen und den Kunden.«
»Man verdient offensichtlich nicht schlecht in dem Geschäft«, meinte
sie dann, ohne von ihrem Schreibbrett aufzusehen. Schuhe, Anzug, Uhr, Krawatte
und andere gern gesehene Zeichen des Erfolgs hatte sie schon vorhin verbucht.
Mit einem Stirnrunzeln, als ob es ihr nicht gefiele, einen Maßanzug an mir zu
sehen. Dabei sah ich gegen ihren Kollegen noch bescheiden aus. Warum der bei
der Kripo war, verstand ich noch immer nicht, als Modell konnte er bestimmt
deutlich mehr verdienen.
»Ich lebe davon«, stimmte ich bescheiden zu.
»Gut«, sagte sie dann und klemmte das Brett zwischen Schreibmaschine
und Tisch. Sie fummelte ein wenig mit einem Formular und Durchschreibpapier
herum, schob den Schlitten der Maschine mit einem »Kling« zurück und sah mich
mit diesen dunkelgrünen Augen an.
»Erzählen Sie mir einfach mit Ihren Worten, was Sie gesehen haben«,
sagte sie dann. »Dann gehen wir das Ganze noch einmal zusammen durch, und ich
nehme Ihre Aussage auf.«
Ich
war wohl doch kein so besonders guter Zeuge. Es war ein Mann, dessen war ich
mir sicher. Er hatte eine Sonnenbrille auf. Und eine Lederjacke an. Ich wusste
nicht mehr, ob er was gesagt hatte oder nicht. Er hatte diese kleine Pistole
gezogen und geschossen. Dann war er gegangen. Ja, das Notebook hatte er wohl
mitgenommen. So ein weißes Ding, fügte ich hilfreich hinzu.
Wenn du sie weiter provozierst,
wird sie dir noch den Kopf abreißen!
Irgendwie hoffte ich es. Denn dann würde ich sie wiedersehen.
War der Mann groß, wollte Marietta wissen.
Nicht zu groß. Nicht zu klein. So irgendwie Durchschnitt. Europäer
oder vielleicht auch nicht. Es tat mir wirklich leid, dass ich ihr nicht helfen
konnte. Aber ich hatte ja erst aufgesehen, als alles schon fast vorbei war.
Schließlich hat ja niemand mit so etwas rechnen können.
»Danke«,
sagte sie später, viel später, und ihre Frustration war kaum zu hören. Ich
setzte ganz akkurat meine Unterschrift auf die mit dem X bezeichneten Stellen
in der Aussage.
»Wollen Sie
mir nicht Ihre Telefonnummer geben, für den Fall, dass mir noch etwas
einfällt?«, fragte ich sie mit meinem besten Lächeln.
So um der alten Zeiten willen?
Damit wir uns verabreden, Wein trinken und hemmungslos leidenschaftlichen Sex
haben können?
Ihre dunkelgrünen Augen pinnten mich an die dreckig weiße Wand hinter
mir, als wäre ich ein Schmetterling auf einer Nadel. Oder irgendetwas anderes
Krabbelndes mit viel zu vielen Beinen. Am Anfang war sie ehrlich freundlich
gewesen, lächelte sogar hier und da mal, aber im Verlauf der Protokollierung meiner
Aussage wich dieses Lächeln einem skeptischen Blick. Jetzt, wo wir fertig
waren, sagte mir dieser Blick, dass sie ganz genau wusste, dass ich nicht
kooperiert hatte. Zudem versprachen mir diese faszinierenden Augen, dass sie
herausfinden würde, warum ich mich so stur stellte.
»Ich denke, Sie werden imstande sein, die Nummer des Reviers im
Telefonbuch zu finden«, antwortete sie mir. Mit einem Lächeln. Keinem
freundlichen.
Sie stand auf. »Vielen Dank, Herr Schmitt«, sagte sie dann noch. Der
Sarkasmus war ebenfalls gut versteckt. Man musste schon wissen, dass
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