Der Müllmann
Polizei, zeigst ihnen dein kleines
Filmchen und fragst sie, ob sie die CD bei ihm zu Hause finden können. Du
kannst dir sicher sein, dass sie seine Wohnung auseinandernehmen werden.«
»Hhm«, sagte er. »Darauf bin ich gar nicht gekommen. Macht mich das
nicht verdächtig?«
»Wohl kaum. Ein Blick auf dich und sie wissen, dass du nicht der
Mörder bist.«
»Und wenn sie mich fragen, warum ich mich nicht schon vorher an sie
gewendet habe?«
»Die Windeln.«
Schweigen. Dann seufzte er. »Ich denk drüber nach. Gibt’s noch eine
andere Möglichkeit?«
»Ich bleib am Ball und schaue zu, was ich herausfinden kann.«
»Siehst du denn überhaupt eine Chance?«
Nun, Lucio war ein Zuhälter. Er selbst hätte mit Marvins
Geschäftsdaten nicht viel anfangen können. Zudem hatte es auf dem Video ja
ausgesehen, als ob er gezielt danach gesucht hätte. Genau das erklärte ich
Marvin.
»Also hat er die CD nicht für sich gestohlen. Wer könnte denn etwas
damit anfangen?«
»Alle meine Konkurrenten, sie wüssten dann, wie weit ich in meiner
Kalkulation gehen kann.«
»Und wer von ihnen würde jemanden anheuern, um die CD zu stehlen?«
»Das wäre eine der Fragen an Valente gewesen. Ich habe nämlich nicht
die geringste Ahnung. Vor allem weiß ich nicht, wer von der CD hätte wissen
sollen.« Er seufzte erneut. »Natürlich habe ich Konkurrenten, die mich nicht
leiden können. Wir spielen ja nicht im Sandkasten, wenn es um Gewinne geht,
kommen auch mal harte Bandagen zum Einsatz. Aber so etwas? Da fällt mir keiner
ein. Ich stelle dir trotzdem eine Liste derjenigen zusammen, die mit der CD etwas
anfangen könnten.«
Darum hätte ich ihn als Nächstes gebeten.
»War außer deinen Kalkulationsunterlagen noch etwas anderes auf der
CD?«
»Ja. Jede Menge«, antwortete Marvin ungehalten. »Ich lasse die CD
jeden Monat neu erstellen. Für die Akten. Sie enthält alle meine Umsätze,
Frachtbewegungen und aktuellen Frachtverträge. Ich sagte dir schon, wer die CD
hat, kann mich jetzt ganz nach Belieben an die Wand fahren.«
»Und? Ist schon etwas in der Richtung geschehen?«
»Nein«, sagte er nach einer kurzen Denkpause. »Bislang ist mir noch
nichts aufgefallen.«
Ich legte auf und starrte auf Valentes Brieftasche. Ich hatte
durchaus vor, Marvins Liste durchzugehen, aber irgendwie glaubte ich nicht
daran, dass ich dort fündig werde. Da steckte etwas anderes dahinter. Ich
drückte die Zigarette aus, bei der Musik konnte ich nicht denken.
Oben
klopfte ich an Ana Lenas Tür, doch die Musik war lauter. Der Bass dröhnte,
irgendeine Band verschandelte nach Kräften Villon und seinen Erdbeermund. Als
ich die Tür öffnete, verkeilte diese sich in dem Kleiderhaufen vor der Tür, und
es gab ein reißendes Geräusch. Sie fuhr herum.
»Hast du
sie noch alle?«, schimpfte sie, sprang auf und hielt mir einen schwarzen
Chiffonrock unter die Nase, in dem nun ein deutlich erkennbarer Riss klaffte.
»Wenn du deine Sachen in den Kleiderschrank …«, fing ich an, doch
viel weiter kam ich nicht, weil meine Nichte die Türen des Monsters öffnete und
anklagend auf die hervorquellenden Stoffe deutete. »Wie denn?«, rief sie. »Ich
hab dir schon ein dutzendmal gesagt, dass ich dringend einen größeren Schrank
brauche!«
Ja, klar. Das Monster füllte die ganze Rückwand von Ana Lenas
Zimmer, und ich müsste anbauen, um ihr den Wunsch zu erfüllen. Nicht, dass es
helfen würde. Ihr Zimmer war, neben dem Wohnzimmer, das größte im Haus und es
war … voll.
Ihr Bett stand gegenüber an der Wand. Vor fünf Jahren wollte sie
unbedingt ein Prinzessinnenbett mit weißen Schleiern daran, jetzt hatte sie
schwarzen Samt darüber drapiert. Ich erinnerte mich an den Streit, als sie die
Wände schwarz streichen wollte. Das Anliegen hatte sie Gott sei Dank
aufgegeben, dafür waren überall Poster an der Wand, Subway to Sally an der Wand
hinter dem Bett, Johnny Depp als Captain Jack neben der Tür und Poster anderer
skurril aussehender Gestalten an den unmöglichsten Stellen. Den Nachttisch
hatte sie schwarz angemalt, darauf standen kleine Porzellanfiguren, Feen und
Fabelwesen, auf der anderen Seite lebte Hermann, ihre Ratte, in seinem Käfig
und musterte mich neugierig mit schwarzen Knopfaugen.
Die Anlage mit den mächtigen Lautsprechern, die das ganze Haus
erschüttern können, hatte sie sich selbst zusammengespart, also konnte ich kaum
etwas dagegen sagen, dahinter blickte mir Milla Jovovich aus einem
Resident-Evil-Poster grimmig
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