Der Müllmann
gesetzt, nachher, wann immer das sein mochte, würde
er für alles eine Erklärung haben.
»Vorhin waren Horvath und Hu hier«, teilte er mir flüsternd mit.
»Aber sie sind wieder gefahren. Dennoch …« Er sah zu mir zurück. »Ich hoffe, du
bist bewaffnet?«, fragte er, während er seine Glock zog.
»Ich …«, begann ich, als mein Telefon bimmelte.
Gernhardt verdrehte die Augen. »Geh schon dran!«
Genau das tat ich. Es war Ana Lena.
»Ich wollte dir sagen, dass die letzte Operation erfolgreich war«,
teilte sie mir aufgelöst mit. »Sie haben ihr den Wirbel richten können und den
Druck von ihrem Nerv nehmen können … sie wird wieder vollständig in Ordnung
kommen!«
»Das ist schön, Ana Lena«, sagte ich und meinte es auch so. »Aber
ich bin hier sehr beschäftigt und …«
»Ist schon gut«, meinte sie. »Ich wollte es dir nur sagen. Ist das
nicht toll?«, sprudelte sie weiter. »Wenn du nichts dagegen hast, dann bleibe
ich heute Nacht bei Jenny, und wir feiern die gute Nachricht ein wenig!«
»Das kannst du gern machen«, sagte ich. »Ich …«
»Ich liebe dich, Onkel Heinrich«, sagte sie und legte auf.
Ich stand da, mit einem blöden Lächeln im Gesicht. Es war Jahre her,
dass sie das zu mir gesagt hatte.
Gernhardt wedelte mit dem Lauf seiner Pistole vor meinem Gesicht
herum. »Fertig mit dem Privatkram?«, fragte er ungehalten. »Wir haben einen Job
zu erledigen.«
»Das war meine Nichte«, erklärte ich ihm.
»Fein. Toll. Können wir jetzt diesen Fall aufklären?«
»Aber gerne doch«, sagte ich und zog meine Glock. »Nach dir.«
Wir gingen über die Straße, und ich sah mich verstohlen um. Um diese
Zeit war es hier menschenleer, und in der anbrechenden Dämmerung war es ein
Gebiet, das man meiden sollte. Von Irina, Alexej oder ihren Leuten fehlte jede
Spur. Von Hus Mercedes und Marietta, Berthold und ihren Kollegen auch. Am
Lagerhaus angekommen, tat Gernhardt so, als ob er die Schlösser überprüfen
wollte. Ich benutzte die Streichholzschachtel, um mir eine Zigarette anzuzünden.
»Niemand hier«, stellte ich fest und hoffte, dass jemand mithörte.
»Hoffentlich«, meinte Gernhardt und nickte zufrieden, als die
Seitentür unter seinen Bemühungen nachgab. »Ich liebe einfache Schlösser.« Er
spähte durch den Türspalt ins dunkle Innere des Lagerhauses.
Er zog eine Taschenlampe aus der Jackentasche, hob die Glock und sah
mich fragend an.
»Also gut. Bereit?«
»Klar«, antwortete ich ihm. »Wie früher.«
Vorsichtig
gingen wir hinein, es war dunkel da drin, nur durch die verdreckten Oberlichter
kam etwas Licht. Gerade genug, um den Container zu erkennen und den kleinen
abgetrennten Bereich mit den Spinden, der wohl früher so etwas wie ein Aufenthaltsraum
gewesen sein musste. Einen Moment lang stand er genau vor mir, den Rücken mir
zugewandt.
Drück ab. Jetzt.
Noch nicht. Dann sah ich die beiden dort liegen, genau wie Irina es
gesagt hatte. Beide schienen noch zu atmen. Landvogt, mein Lieblingsfotograf,
und Marvin Schröder, mein schwuler Freund, der mich in das alles hineingezogen
hatte.
Obwohl ich darauf vorbereitet war, lenkte es mich doch für einen
kurzen Moment ab, lange genug für Gernhardt, einen schnellen Schritt zur Seite
und zurück zu machen und seine Glock auf mich zu richten.
»So«, sagte er und lächelte etwas verlegen. »Da sind wir. Lass deine
Waffe sinken … ganz langsam.«
Genau das tat ich. Auch wenn die Versuchung groß war abzudrücken.
Das hättest du tun sollen, als du
die Gelegenheit dazu gehabt hast.
»Kommt jetzt nicht der Moment, in dem du sie haben willst?«, fragte
ich so ruhig ich konnte.
Er schüttelte leicht den Kopf. »Ob du es glaubst oder nicht,
Heinrich, ich hab nicht vor, dich umzubringen. Behalt die Waffe, du wirst sie
noch brauchen.« Er sah kurz zu den beiden menschlichen Rouladen hin. »Dieser
Fotograf …« Er schüttelte fassungslos den Kopf. »Er hätte mir fast noch alles
verdorben. Übrigens, ich wusste, dass du hinter der Tür gestanden hast. Wir
haben oft genug zusammen geschwitzt, sodass ich dich tatsächlich riechen
konnte.«
»Und warum hast du mich nicht damals schon umgelegt?«
»Ich sagte doch, das ist nicht der Plan.« Er schüttelte den Kopf.
»Ich brauche einen Helden, Heinrich. Einen, der das Ganze glorios auflöst und
im Rampenlicht steht. Vielleicht sogar in der Zeitung.« Er sah mich an und ließ
seine eigene Waffe sinken. »Ich will aussteigen«, erklärte er. »Alles, was ich
dir von dem
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