Der Müllmann
würde.
Ich fuhr also an ihm vorbei, parkte etwas abseits von seiner Wohnung
und ging ihm dann entgegen. Sein üblicher Weg führte ihn an einer Tankstelle vorbei,
wo er manchmal noch Kippen holte, wenn er überhaupt noch das Geld dafür übrig
hatte, dann ein Stück die Straße entlang, über einen halb beschrankten
Bahnübergang, danach waren es nur noch vierhundert Meter bis zu seiner Haustür.
Kurz vor dem Bahnübergang gab es einen dieser alten Umspanntürme, schon lange
nicht mehr in Benutzung, aber ein guter Ort, um nicht gesehen zu werden.
Ich sah auf meine Uhr. Ein Uhr zwanzig. Zeit genug, die S-Bahn kam
um ein Uhr dreiunddreißig. Jetzt musste er nur noch einigermaßen pünktlich
sein.
Es war gleichzeitig leicht und schwer, einen Menschen ins Jenseits
zu befördern. Es war überraschend, wie zäh unsere Spezies ist, bedenkt man, wie
zerbrechlich wir sein können. Es waren schon Leute gestorben, weil sie auf dem
Gehsteig stolperten, andere fielen dafür aus dem zehnten Stock und verstauchten
sich nur einen Knöchel.
Aber es gab Möglichkeiten, sicherzugehen. Es kam selten vor, dass
jemand das Kräftemessen mit einer S-Bahn überlebte. Während Richter näher kam,
hielt ich Ausschau nach Autos, aber der Herr hatte Pech, die Straße hier war
kaum befahren. Kameras gab es hier nur eine, die am Bahnübergang, und wo deren
toter Winkel lag, war mir bekannt.
Als er an mir vorbeiging, trat ich aus dem Schatten und schlug ihm
hart mit beiden Handkanten gegen den Hals, nicht zu fest, ich wollte ihn ja
nicht umbringen … oder zu deutliche Spuren hinterlassen.
Er sackte in sich zusammen, ich fing ihn auf, und guter Freund, der
ich war, legte ich mir seinen Arm um den Hals und half ihm weiter. Bis zum Bahnübergang.
Dort legte ich ihn dann sauber ab. Direkt im toten Winkel unter die
Kamera. Ich sah auf die Uhr. Ein Uhr neunundzwanzig. Perfekt.
Ich ging zurück zu dem alten Umspannturm, von dort aus hatte ich
einen guten Überblick. Das Einzige, das mir Mühe bereitete, war, dem Verlangen
nach einer Zigarette zu widerstehen. So, dachte ich zufrieden. Das ist perfekt
gelaufen.
Ein Uhr dreiunddreißig. Der Zug hätte jetzt jeden Moment kommen
müssen. Ich spähte die Bahngleise entlang … kein Licht zu sehen, dafür gingen
jetzt die Schranken herunter. Der Sekundenzeiger lief weiter. Ein Uhr
vierunddreißig. In der Ferne tauchte der Scheinwerfer des Zugs auf. Ein wenig
tat mir der Zugführer leid. Es gab so viele Idioten, die sich vor Züge warfen,
dass die Bahn schon ein Therapieprogramm eingerichtet hatte, um die Zugführer
zu betreuen, denen so etwas passierte.
In der Ferne wurde das Licht immer größer, mittlerweile hörte ich
auch den Zug herankommen. Ein Uhr fünfunddreißig war es, er hatte schon über
zwei Minuten Verspätung. Verdammt, man sollte meinen, dass es so spät in der
Nacht keinen Grund für Verspätungen geben sollte!
Und dann stellte ich staunend fest, dass sich mein Freund schon
wieder bewegte. Ich hätte wohl doch etwas fester zuschlagen sollen.
Ungläubig sah ich zu, wie er mir den Abend versaute. Erst stützte er
sich benommen auf seinen Händen auf, schüttelte sich wie ein nasser Hund und
starrte auf die Bahnschranke vor ihm. Einen langen Moment wagte ich zu hoffen,
dass er zu besoffen war, um zu verstehen, was hier vorging, aber dann stand er
schwankend auf und tat einen Schritt nach vorne.
Zugleich hörte ich das Kreischen der Bremsen, als der Zugführer eine
Notbremsung einleitete, doch es war zu spät, der Zug rauschte durch die
Schranke hindurch … und war vorbei. Fassungslos durfte ich zuschauen, wie auf
der anderen Seite der Glückspilz davontorkelte. Er sah sich nicht mal nach dem
Zug um, ich glaubte fast, er hatte ihn gar nicht richtig wahrgenommen! Ein Uhr
siebenunddreißig, die verdammte S-Bahn war volle fünf Minuten zu spät gekommen!
Verflucht, dachte ich. Andere stehen einfach so am Bahndamm und
werden von so einem beschissenen Zug mitgerissen, der Kerl hier hatte praktisch
davor gestanden … und kein Haar war ihm gekrümmt worden.
Ich sah zu dem Zug hin, der einen halben Kilometer weiter zum Stehen
gekommen war, und hoffte nur, dass niemand bei der Notbremsung zu Schaden
gekommen war. Die Wahrscheinlichkeit dafür war allerdings gering, um diese
Uhrzeit war der Zug bis auf ein paar wenige Nachtschwärmer meist leer.
Im Wagen hatte ich immer noch die Pistole liegen, aber das wäre
bescheuert gewesen. Jetzt brauchte ich mich auch nicht mehr zurückzuhalten,
also
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