Der Müllmann
zündete ich mir eine Zigarette an und sah zu, wie Herr Richter nach vier
Versuchen endlich dazu imstande war, die Eingangstür aufzuschließen.
Ich zog tief an der Zigarette, hustete und fluchte leise, dann ging
ich frustriert zu meinem Wagen zurück. Mein Gott, wäre die Bahn nicht so spät
gekommen, wäre es perfekt gewesen! Was für Trantüten waren da eigentlich
zugange? So schwierig konnte es doch gar nicht sein, den verdammten Fahrplan einzuhalten!
Mach es einfach, lautete die Regel. Komplizierte Pläne gehen leicht
schief, einfach war besser. Ein Besoffener, der der Bahn vor die Nase läuft,
was hätte einfacher sein können?
Ich fasste es noch immer nicht. Aber aufgeschoben war nicht
aufgehoben.
Verdammte Bahn.
Als
ich nach Hause kam, war es später als gedacht, und von Ana Lenas Roller war
weit und breit nichts zu sehen. Ich warf einen Blick auf die Uhr, runzelte die
Stirn und entschloss mich dazu, noch etwas zu arbeiten. Vielleicht hatte
Brockhaus ja noch etwas für mich. Nein, hatte er nicht, aber dafür schaffte ich
es endlich, Bernds Papierkrieg zu ordnen. Auch wenn mir noch so einiges unklar
blieb. Was, zur Hölle, war eine »schräge Quetschkommode«?
Als Ana
Lena um drei Uhr morgens noch immer nicht zu Hause war, fing ich an, mir
ernsthaft Sorgen zu machen. Immer wieder griff ich zum Telefon, überlegte mir
bereits, was ich ihr sagen wollte, dass es mir fernläge, sie gängeln zu wollen,
und ich mir nur Sorgen machen würde … oder vielleicht sollte ich doch besser
erst den Beschwerdebrief an die Bahn schreiben!
Als ich sie dann doch anrief, erreichte ich nur die Mailbox.
Mittlerweile war es schon vier Uhr geworden, diesmal war ich drauf und dran,
die Polizei oder die Krankenhäuser anzurufen, als ich das Knattern zweier
Roller hörte.
Ich öffnete die Haustür und sah noch, wie Ana Lena Jenny umarmte,
die sie ihrerseits auch mit feuchten Augen fest drückte, dann kamen sie beide
auf mich zu. »Was …«, begann ich, als ich Ana Lenas verheulte Augen, die
zerlaufene Schminke, die zerrissene Bluse, den Dreck in ihrem Haar und ihre zerkratzten
Hände und Knie wahrnahm.
Doch Ana Lena schüttelte nur den Kopf, war nicht imstande, mich
anzusehen, und floh an mir vorbei die Treppe hinauf.
»Nicht, Herr Schmitt«, sagte Jenny leise und legte ihre Hand auf
meinen Arm, als ich Ana Lena hinterherlaufen wollte. »Besser nicht. Nicht
jetzt.«
Ich sah zur Treppe und hörte oben die Tür zum Badezimmer.
»Warum? Was ist geschehen, gab es einen Unfall?«
»Nein, kein Unfall«, sagte Jenny bitter und seufzte. »Besser, sie
sagt es Ihnen selbst.« Sie sah mich bittend an. »Seien Sie einfach nur für sie
da«, bat sie und wischte sich Tränen aus den Augen. »Aber nicht jetzt. Geben
Sie ihr Zeit.« So erwachsen wie im Moment hatte Jenny noch nie ausgesehen, und
sie meinte jedes Wort ernst. »Richten Sie ihr aus, dass ich nach Hause bin,
aber wenn sie mich braucht, dann komme ich wieder, auch noch mitten in der
Nacht, ja?«, fügte Jenny leise hinzu. Ich nickte nur und sah dann wortlos zu,
wie Jenny auf ihren Roller stieg und davonfuhr.
Ana Lena hatte ihren Helm an ihrem Roller liegen lassen, mechanisch
bückte ich mich und hob ihn auf. Ich hätte keine Fragen stellen brauchen, ich
hatte nur gehofft, dass es vielleicht doch anders sein könnte, dass es doch nur
ein Unfall war oder irgendetwas anderes als das, was ich befürchtete.
Gott, dachte ich verzweifelt, als ich mich an eine andere Nacht, an
ein anderes junges Mädchen erinnerte, das weinend nach Hause gekommen war.
Der Helm knirschte in meinen Händen, für einen Moment stand ich da
und fragte mich, wie es wieder dazu hatte kommen können, dann ging ich langsam
hinein, legte den Helm ab und ging hoch zum Badezimmer, wo ich die Dusche rauschen
hörte … und das Schluchzen meiner Nichte.
Ich hatte die Küche heute schon geputzt, es gab nichts mehr an ihr
auszusetzen, dennoch fing ich noch einmal von vorne an. Captain Jack strich um
meine Beine und maunzte ab und an. Noch immer rauschte das Wasser oben im Bad.
Als das Wasser endlich aufhörte, wartete ich einen Moment und ging
dann langsam hoch zu ihrer Tür, klopfte leise und betrat zögerlich den Tempel
des Todes, in dem nun keine Musik zu hören war. Ana Lena saß auf dem Bett, die
Decke um sich geschlungen, und sah mich an, die Augen rot und leer. In den
Händen hielt sie das Bild von ihrem Schreibtisch, das sie und ihre Mutter
zeigte.
»Ana Lena«, begann ich leise. »Kann
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