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Der Musentempel

Der Musentempel

Titel: Der Musentempel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Maddox Roberts
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immer auf dem westlichen Ufer, und die Nekropolen stehen immer westlich der Stadt, vermutlich weil dort die Sonne untergeht.
    Und da die Menschen in Alexandria bereits seit ein paar Jahrhunderten sterben, ist die Nekropolis inzwischen fast größer als die Stadt selbst.«
    »Und doch existiert Alexandria, gemessen an ägyptischen Zeitvorstellungen, erst seit sehr kurzer Zeit. Laut Herodot lassen sich die Pharaonen fast dreitausend Jahre zurück verfolgen.
    Verglichen damit ist selbst Rom noch ein Säugling. Glaubst du, daß Rom so lange existieren wird?«
    »Natürlich«, erwiderte ich. Alberne Frage.
    Aber selbst der angenehmste Tag muß einmal dem Abend weichen, und der heutige war auch noch dem Bankett im Museion vorbehalten. Wir kehrten zum Palast zurück, um zu baden und uns für den Empfang umzuziehen. Eine durchaus willkommene Sitte unter Römern in Alexandria war der Verzicht auf die lästige Toga, wenn man zum Essen eingeladen war. Statt dessen trug man das leichte und bequeme Chiton. Dieser Brauch war so immens praktisch, daß Caesar ihn einige Jahre später auch in Rom einführte. Und da Caesar zu jener Zeit Gebieter über alle Fragen des Anstandes und der Mode war, setzte es sich sogar durch.
    Wir wurden durch den kühlen Abend zum Museion getragen, gefolgt von unseren persönlichen Sklaven. Es war eine recht große Schar, die hinter den Sänften hertrottete, weil sich auch Fausta und Berenike in unserem Zug befanden. Ich befahl unseren Trägern, direkt neben der Sänfte der beiden zu laufen.
    »Wie war die Auspeitschung?« rief ich Fausta zu.
    »Es war ein fesselndes Schauspiel!« erwiderte sie.
    »Mindestens hundert Priesterinnen haben vor der Statue des Baal-Ahriman getanzt, und vor Ende der Zeremonie sind etliche von ihnen wegen des Schocks oder Blutverlusts zusammen gebrochen.«
    »Das hört sich an, als sei es noch amüsanter gewesen als eine saturnalische Massenhysterie«, sagte ich, Julias Ellenbogen ignorierend, der beinahe eine meiner Rippen gebrochen hätte.
    »Ich wünschte, in römischen Tempeln würde ähnlich gute Unterhaltung geboten.«
    »Es war eine durch und durch anständige religiöse Zeremonie«, beharrte die Prinzessin. »Der heilige Ataxas hat uns das erhabene Wesen des großen Gottes offenbart sowie die Bedeutung religiöser Ekstase zu seinem Lobpreis. Während der heiligen Trance tritt man in eine mystische Gemeinschaft mit der Göttlichkeit ein. Der heilige Ataxas hat uns prophezeit, daß der Gott zu uns sprechen wird, wenn seine Anhänger die Vollendung der Hingabe erreicht haben.«
    »Sprechen?« fragte ich. »Du meinst, er wird sich in mystischer Weise manifestieren, wie Götter das zu tun pflegen?«
    Berenike schüttelte den Kopf. »Nein, er wird zu uns sprechen, mit eigener Stimme alle werden ihn hören können.« »Faszinierend«, murmelte ich, wie stets erstaunt über die unergründliche Leichtgläubigkeit der Menschen. Schließlich gab ich Julias Ellenbogen nach und lehnte mich in die Sänfte zurück.
    »Es ist ungehörig, fremde Religionen zu verspotten!« zischte sie mich an, als die anderen außer Hörweite waren.
    »Ich habe sie nicht verspottet«, wehrte ich mich. »Ich habe lediglich ein paar Fragen gestellt. Außerdem ist es keine richtige Religion. Es ist ein ausländischer Kult. Und kein gebildeter Mensch, ganz gleich welcher Nationalität, sollte diesem betrügerischen Kokolores Glauben schenken.«
    »Na und? Sie ist eine Prinzessin, und bei königlichen Hoheiten macht man stets gewisse Konzessionen. Es ist ja nicht so, daß wir hier in Rom sind und Ataxas die Vorherrschaft Jupiters in Frage stellt.«
    So tief in theologische Debatten verstrickt, verbrachten wir die Zeit, während unsere Träger sich auf unserem Weg zum Museion schwitzend abplagten. Die Sänfte schlingerte ein wenig, als wir die große Treppe hinauf getragen und in der Vorhalle des großen Speisesaales abgesetzt wurden, wo wir von den anwesenden Koryphäen begrüßt wurden. Oder besser, sie krochen vor Berenike und rechneten uns großzügig zu ihrem Gefolge.
    Wir betraten die Mensa, die für ein Bankett unter Gelehrten angemessen gedeckt war, will sagen, schlicht und karg, aber stilvoll. Zur Unterhaltung der Gäste rezitierte Theagenes, der bedeutendste tragische Mime des alexandrinischen Theaters, eine längere Passage von Homer, die wir mit gebotener Würde durchsaßen, wobei der hervorragende Wein durchaus hilfreich war.
    Die allgemeine Aura der Stille und Selbstbeherrschung machte mich

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