Der Musentempel
erinnern«, sagte ich. »Menelaos hat Peisandros oberhalb der Nase ein Messer in den Kopf getrieben, so daß dessen beide Augen blutend vor seine Füße fielen.«
»Das ist natürlich die Stelle, an die du dich erinnerst«, meinte Julia.
»Ich liebe diese Stellen. Aber warum die Kunstgalerie, Asklepiodes?«
»In der Kunst wird die Axt normalerweise als charakteristische Waffe der Amazonen dargestellt.«
»Du willst doch sicher nicht andeuten«, sagte ich, »daß Iphikrates von einer Amazone erledigt worden ist.« »Ich würde meinen, eher nicht. Aber schau her.« Er war vor einer großen, prachtvollen, schwarzfigurigen Vase stehen geblieben, die auf einem Sockel ausgestellt war, der sie als Werk des berühmten Vasenmalers Timon auswies. Sie stellte den Kampf zwischen den Griechen und den Amazonen dar, und Asklepiodes auf eine der martialischen Damen, die, bekleidet mit einer Tunika und einer phrygischen Haube, auf einem Pferd saß und eine langstielige Axt schwang, um einen Griechen zu zerschmettern, der lediglich einen großen Helm mit Federbusch trug und mit Speer und Schild bewaffnet war.
Julia holte aus einer Mauernische eine Lampe und hielt sie nahe an die Vase, damit wir die Waffe betrachten konnten.
Obwohl der Axthelm sehr lang war, war die Scheide recht gedrungen und schmal und verbreiterte sich nur zur Klinge hin leicht zu einem Halbkreis. Das gegenüberliegende Ende bestand aus einem kurzen, scharfen Dorn.
»Sie sieht so ähnlich aus wie die Opferaxt, mit der der Assistent der Flamines die größeren Opfer betäubt«, bemerkte Julia.
»Unsere sind an der Scheide nicht ganz so stark geschwungen«, ergänzte ich.
»In Teilen des Orients«, sagte Asklepiodes, »werden Äxte dieser Art noch immer zu religiösen Zwecken verwendet.«
»Hast du sie schon hier in Alexandria gesehen?« fragte ich ihn.
Er schüttelte den Kopf. »Nein. Doch es gibt mit Sicherheit mindestens eine Axt dieser Art in der Stadt.«
Wir verabschiedeten uns von Asklepiodes und kehrten zu unserer Sänfte zurück, wo wir unsere Träger fest schlafend antrafen, ein Defekt, den ich rasch beheben konnte. Wir kletterten auf unsere Sitze und ließen uns in die Kissen sinken.
»Warum sollte irgend jemand einen Gelehrten wie Iphikrates umbringen wollen?« fragte sich Julia schläfrig. »Das herauszufinden, habe ich mir vorgenommen«, erklärte ich ihr. »Ich hoffe, es ist nicht etwas so Gewöhnliches wie ein eifersüchtiger Ehemann.«
»Es wird deinen Vorgesetzten gar nicht gefallen, daß du dich in den Fall einmischst, weißt du. Es könnte ihre Arbeit unnötig komplizieren.«
»Das ist mir egal«, sagte ich. »Ich will herausfinden, wer das getan hat, und ich will ihn bestraft sehen.«
»Warum?« wollte sie wissen. »Oh, ich weiß, daß du dich langweilst, aber das ließe sich auch beheben, indem du mich auf einer Bootsfahrt den Nil hinab bis Elephantine begleitest und mir unterwegs die Sehenswürdigkeiten zeigst. Du hast kein wirkliches Interesse an Alexandria, und Iphikrates konntest du ohnehin nicht leiden. Was ist es also?«
Ich habe es immer gehaßt, wenn sie so hartnäckig und ahnungsvoll nachfragte. »Es ist nichts, worüber du dir Sorgen machen müßtest«, beharrte ich.
»Los, erzähl's mir.« Sie klang amüsiert. »Wenn ich deine Assistentin sein soll, möchte ich es wissen.«
»Nun«, antwortete ich voller Unbehagen, »es hat etwas mit dem Tempel zu tun. Nicht so sehr mit dem Museion oder der Bibliothek, sondern mit dem Tempel selbst.«
»Und?« bohrte sie weiter.
»Es gehört sich nicht, in einem Tempel einen Mord zu begehen. Der Ort, an dem Iphikrates ermordet wurde, ist schließlich Teil des Tempelkomplexes.«
Sie wölbte ihre Brauen. »Selbst, wenn es sich um einen ausländischen Tempel handelt?«
»Die Musen sind legitime Gottheiten«, behauptete ich. »Auch in Rom werden sie verehrt.«
»Ich wußte gar nicht, daß du so fromm bist«, meinte sie.
»Dieser Tempel ist anders«, beharrte ich stur. Sie legte sich in ihre Kissen zurück. »Damit will ich mich für heute zufriedengeben. Aber ich möchte, daß du mir diesen Tempel zeigst.«
Den restlichen Weg zum Palast sagte sie kein Wort mehr. Ich hatte auch so mehr als genug zum Nachdenken.
IV
»Was hat das ganze Gerede von einem Mord zu bedeuten?«
wollte Creticus wissen.
Also erzählte ich ihm alles, zumindest das wenige, das ich bisher wußte. Wir nahmen ein Frühstück im schattigen Innenhof der Botschaft ein: ägyptisches Fladenbrot, Datteln und Feigen
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