Der Musentempel
du wünschst, Senator, aber wir müssen Iphikrates' Habseligkeiten bald aus dem Zimmer entfernen. Der hervorragende Musikgelehrte Zenodotos von Pergamon wird in Kürze hier erwartet, und dann werden wir die Räume brauchen.«
Als ich ihn traf, beendete Asklepiodes gerade eine Anatomievorlesung, und ich überredete ihn, mich zu begleiten.
Wir fanden das Arbeitszimmer wieder ordentlich vor, die vervollständigten Listen des Inventars lagen akkurat auf dem großen Tisch bereit. Ich nahm eine der Silberschalen zur Hand.
»Du hast gesagt, daß Iphikrates sich wissenschaftlich mit Parabolspiegeln beschäftigte«, sagte ich. »Was läßt sich mit den Dingern außer der Konzentration von Licht sonst noch anstellen?«
»Sie konzentrieren Hitze«, sagte Asklepiodes. »Komm, ich zeige es dir.« Wir betraten den Hof, und er blinzelte, um den Einfallswinkel der Sonnenstrahlen zu begutachten. Mit dem Spiegel warf er eine Lichtscheibe auf die verlassen daliegende Kanalschleuse. Dann zog er den Spiegel so weit zurück, bis die Scheibe zu einem strahlend hellen Punkt von der Größe eines Kupfer-As' geschrumpft war. »Halt deine Hand davor, dann wirst du sehen, was ich meine.«
Zaghaft schob ich meine Hand auf die Holzfläche, bis der winzige Lichtpunkt auf ihrer Innenfläche ruhte. Man konnte die Wärme deutlich spüren, obwohl es nicht heiß genug war, um wirklich weh zu tun.
»Welche Verwendung hatte Archimedes für diese Geräte?«
fragte ich.
»Angeblich soll er damit römische Schiffe in Brand gesetzt haben.«
»Hältst du das für möglich? Soviel Hitze scheinen sie doch gar nicht zu entwickeln.«
»Diese Spiegel sind lediglich Miniaturen. Diejenigen, die Archimedes verwendet hat, müssen größer als Schilde gewesen sein. Und er hat etliche von ihnen benutzt, möglicherweise Hunderte, die er auf der Hafenmauer von Syracus nebeneinander aufgestellt hatte. Ich glaube schon, daß man mit so vielen Spiegeln angreifende Schiffe in Brand setzen könnte. Schiffe sind ohnehin extrem leicht entflammbar.«
Wir experimentierten eine Weile mit den Silberschalen. Als wir alle vier auf einen einzigen Punkt konzentrierten, gelang es uns, dem Holz eine zarte Rauchfahne zu entlocken. Zurück in Iphikrates' Gemächern, ging ich die Listen durch und versuchte, irgend etwas zu finden, was uns einen Hinweis darauf geben könnte, was dieser ärgerliche Pedant vorgehabt hatte.
»Eine Kiste mit verschiedenen Mustern von Tauen, alle beschriftet«, las ich. »Was, glaubst du, hat das zu bedeuten?«
Wir durchstöberten das Zimmer, bis wir die Kiste unter dem Tisch fanden. Sie enthielt Unmengen von Tauenden, auf verschiedenste Art aus diversen Materialien, sowohl Tier- als auch Pflanzenfasern, geflochten und gedreht. Jedes Musterstück war etwa dreißig Zentimeter lang und jeweils mit einem Papyrus-Etikett mit Kurzschriftzeichen und Zahlenkolonnen versehen.
Asklepiodes wählte eine Reihe von Seilenden aus. »Sie sind aus Menschenhaar gemacht«, sagte er. »Was könnte der Nutzen derartiger Taue sein?«
Ich studierte die Etiketten und versuchte, ihre Bedeutung zu entziffern. »Menschenhaar ist angeblich das beste Material zur Herstellung von Seilen für Torsionskatapulte. Die Frauen von Karthago haben ihre Locken geopfert, damit während der Belagerung neues Kriegsgerät gebaut werden konnte. Scipio hat eine Stadt kahlköpfiger Frauen erobert. Schau hier: Diese Abkürzungen verzeichnen Rasse und Nation jeder Spenderin.
Der Mann war geradezu detailversessen.«
»Und die Zahlen?« Dieses eine Mal schien auch Asklepiodes ratlos.
Ich dachte eine Weile nach. »Ich denke, sie bezeichnen das Gewicht oder die Spannung, bei denen die Seile gerissen sind.
Ich habe keine Ahnung, wie er das feststellen konnte.« Wenn meine Mutmaßungen betreffs seiner Kurzschrift zutreffend waren, rangierte das Haar schwarzer Afrikanerinnen in seiner Einschätzung ganz unten, während das blonde Haar germanischer Frauen das kräftigste und widerstandsfähigste war.
Selbst Seide wies trotz ihrer Festigkeit bei der Anwendung in Torsionsgeschützen Nachteile auf, weil sie, wenn ich mit meiner Übersetzung der Notizen richtig lag, »zu dehnbar« war.
Außerdem war sie viel zu teuer.
Ich erzählte Asklepiodes, was ich von dem Sklaven erfahren hatte. »Zumindest haben wir jetzt eine, wenn auch vage Beschreibung des Mörders.«
»Mittelgroß, dunkles Haar und einen nach griechischer Manier gestutzten Bart... das engt den Kreis der Verdächtigen gewiß ein. Es kann
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