Der Musentempel
Machtgier.
»Religion ist etwas Mächtiges und Gefährliches, Fausta.
Deswegen haben wir Römer sie schon vor Jahrhunderten an die staatliche Kandare genommen. Deswegen ist unsere Priesterschaft Teil des öffentlichen Dienstes. Und deswegen haben wir auch die Konsultation der Sibyilinischen Bücher verboten, außer in Ausnahmesituationen und nur auf Geheiß des Senats.«
»Worauf willst du hinaus?«
»Die gefährlichste Religion ist die impulsive, sprunghafte Variante, die von charismatischen Heiligen wie Ataxas vertreten wird. Sie haben so eine Art, ihre kurzfristigen Prophezeiungen wahr werden zu lassen, indem sie ihre fanatische Anhängerschaft aufhetzen, sie wahr zu machen. Die Menschen sind ja so leichtgläubig. Hast du bemerkt, daß er Taubheit und Lähmung heilt, zwei Leiden, die sich leicht simulieren lassen.
Ich wette, er hat noch nie eine amputierte Hand oder einen Fuß wiederhergestellt.«
»Das alles würde dich doch nicht interessieren, wenn er bloß ein Betrüger wäre, der sich auf Kosten von Idioten bereichert«, behauptete sie. »Vermutest du eine Intrige dahinter?«
»Ich bin mir ziemlich sicher, obwohl mir die Zusammenhänge nach wie vor ein Rätsel sind.«
»Was scheren dich die innenpolitischen Verhältnisse in Ägypten?« fragte sie.
»Praktisch alles, was hier geschieht, berührt auch römische Interessen. Was immer Ataxas im Schilde führt, es kann nichts Gutes sein. Es wäre doch eine Verschwendung, die Legion schicken zu müssen, wenn die simple Enthüllung der Verschwörung das Problem genauso gut lösen könnte.«
Fausta lächelte. »Julia meint, du seist zwar verrückt, aber sehr interessant. Ich beginne zu verstehen, was sie meint.« Kaum hatte sie diese rätselhafte Feststellung getroffen, als die Dame persönlich erschien.
»Die ganze Veranstaltung gerät völlig außer Kontrolle«, sagte sie. »Decius, ich finde, wir sollten zur Botschaft zurück kehren.«
»Du redest, als ob ihr beide schon verheiratet wärt«, bemerkte Fausta.
»Möchtest du mitkommen«, fragte Julia sie. Mich zu fragen, ob ich schon gehen wollte, hielt sie offenbar für überflüssig.
»Ich denke, ich werde noch ein wenig bleiben«, sagte Fausta.
»Ich habe schon so viel über die Ausschweifungen am ägyptischen Hof gehört, daß ich die Gelegenheit nutzen möchte, sie aus der Nähe zu betrachten. Geht nur, ihr zwei. Es sind immer noch genug Vertreter der Botschaft anwesend, um dem Anstand Genüge zu tun.«
Genaugenommen waren die meisten von ihnen entweder bewußtlos oder auf dem besten Wege dahin, aber ich hegte keinerlei Zweifel, daß Fausta auf sich selbst aufpassen konnte.
Wir bestiegen eine Barkasse für die kurze Fahrt zurück zum Kai des Palastes.
»Ich hatte gerade ein interessantes Gespräch mit der Konkubine des parthischen Botschafters«, sagte Julia.
»Er ist ohne seine Frau hier, nehme ich an.«
»Richtig. Er mußte Frau und Kinder in Parthia zurücklassen als Pfand für sein gutes Benehmen.«
»Der arme Mann. Und was hatte seine Trösterin nun zu erzählen?«
»Zu unserem großen Glück ist sie eine hochgebildete griechische Hetaira. Das Griechisch des Botschafters läßt zu wünschen übrig, so daß sie ihn bei Schriftstücken in dieser Sprache behilflich ist. Das meiste ist der übliche langweilige Botschafterkram, aber vor kurzem hat sie ihm einige illustrierte Schriftstücke vorgelesen, die er dann ins Parthische übersetzt hat, bevor er Original und Übersetzung in einer verschlossenen Truhe und in Begleitung schwerbewaffneter Wachen an König Phraates geschickt hat.«
Ich spürte ein vertrautes Kribbeln, wie es sich immer einstellte, wenn ein entscheidender Knoten eines Rätsels sich löste. »Und worum ging es in diesen Schriftstücken?«
»Es waren Konstruktionszeichnungen für Maschinen. Sie hat nicht viel daraus erkennen können, und auch der Großteil des Textes war in einer technischen Fachsprache abgefaßt, die sie nicht verstanden hat. Aber offenbar handelte es sich um eine Maschine, mit der man Schiffe in Brand setzen kann, sowie Steinschleudern zum Durchbrechen von Mauern. Außerdem war eine Quittung dabei über den Erhalt einer großen Summe für die Erstellung dieser Pläne. Das Geld wurde an Iphikrates von Chios ausgezahlt. Sie hielt es für einen ungewöhnlichen Zufall, daß er wenig später ermordet wurde.«
»Erinnere mich daran, meine Geheimnisse nie einer klatschsüchtigen Griechin anzuvertrauen. Hat sie sonst noch etwas gesagt?«
»All diese
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