Der Musentempel
ernst stakte er sein Boot wie eine Figur auf einem Wandgemälde.
Bald hatten wir den Tunnel erreicht, der durch die Mauer zum See führte, das große Doppelfallgitter war für den Tag geöffnet.
Der Großteil des Verkehrs bewegte sich um diese Tageszeit stadteinwärts. Nur wenige Boote verließen die Stadt. Wir passierten den Eingang zum Nilkanal und fuhren in Richtung See weiter. Ich drehte mich um und rief den Bootsmann.
»Trifft es zu, daß Iphikrates den Nil bereist hat, um das Ansteigen und Abfallen sowie die Strömungen nahe der Ufer zu messen?« Ich war mir nicht sicher, ob er die Frage ganz verstanden hatte, doch er hatte offenbar genug begriffen. »Er ist zum See gefahren.«
Wenig später hatten wir die ruhigen Gewässer des MareotisSees erreicht. Die Ufer waren flach und sumpfig und von Papyrus gesäumt. Im niedrigen Wasser tummelten sich Wasservögel -Enten, Gänse, Möwen, Reiher und hin und wieder sogar ein watender Ibis. Wir kamen an Suhlen vorbei, in denen sich Flußpferde ergötzten, deren scheinbar lächelnder Rachen und komisch wackelnde Ohren über ihr im Grunde genommen feindseliges Wesen hinwegtäuschten. Hermes' Augen wurden groß und rund, als er die riesigen wilden Viecher so nah sah.
»Und wenn sie uns angreifen?« fragte er. »Sie haben dir doch bisher auch keine Angst gemacht«, erwiderte ich.
»Da waren wir ja auch mit einem größeren Boot unterwegs.
Die Biester könnten uns mit einem Bissen verschlucken.«
»Wenn ihnen danach wäre. Aber sie fressen nur Gras. Solange wir ihnen nicht in die Quere kommen, lassen sie uns in Ruhe.
Dieses Tier hingegen«, ich wies auf etwas, das wie ein treibender Baumstamm aussah, »wird dich garantiert fressen, wenn du ins Wasser fallen solltest.« Als ob es mir zugehört hätte, drehte sich das Biest um und betrachtete uns. Hermes erblaßte.
»Warum rotten sie diese Ungeheuer nicht aus?« fragte er.
»Krokodile sind die heiligen Tiere des Gottes Sobek. Sie werden mumifiziert und in Tempelkrypten aufgestellt.« »Ägypter! Gibt es irgend etwas, was sie nicht verehren und zu Mumien verpacken?«
»Sklaven«, erklärte ich ihm. »Es gibt keinen Gott der Sklaven.«
»Ich wette, es gibt auch keinen Gott der Römer«, lautete seine Entgegnung.
Wir trieben in östlicher Richtung auf das Delta zu, bis die Sonne ihren Zenit fast erreicht hatte. Dann umschifften wir eine flache Landspitze und kamen an eine Stelle, wo ein steinerner Landungssteg ins Wasser hinausragte. Der Bootsmann wies mit der Spitze seines Stabes auf den Kai. »Was ist das?« fragte ich ihn.
»Hierher ist der Mann aus dem Museion immer gefahren.«
»Wessen Anwesen ist das?«
Er zuckte die Schultern. »Es gehört dem König oder irgendeinem bedeutenden Adeligen.« Eine Vermutung, mit der man nicht falsch liegen konnte, weil alles dem König oder irgendeinem bedeutenden Adeligen gehörte.
»Fahr weiter«, befahl ich ihm. »Ich sage dir, wo wir an Land gehen werden.«
Er wandte sich von dem Kai ab. Auf dem Pier sah ich keine Menschenseele. Soweit ich es beurteilen konnte, waren wir unbeobachtet. Aber das war ohnehin von geringer Bedeutung, da wir nicht das einzige Wasserfahrzeug waren, das an diesem Morgen auf dem See unterwegs war. Fischer und Vogeljäger gingen ihrer Arbeit nach, und Boote transportierten die Produkte, die in den großen Plantagen am Ufer des Sees geerntet wurden. Barkassen wie die unsrige schifften riesige Bündel von Papyrushalmen in die Papierfabriken von Alexandria. Auf dem Wasser herrschte nicht direkt Gedränge, aber ein Boot mehr oder weniger sollte an sich keine besondere Aufmerksamkeit erregen. Etwa eine Meile östlich des Piers entdeckte ich einen kleinen Wasserarm, der sich durch das Schilf ans Ufer wand. »Geh dort an Land.«
Der Bug des Schiffes lief auf einer von Palmen gesäumten Sandbank auf Grund. Wir entluden unsere Ausrüstung und stellten sie unter den Bäumen ab. Der Bootsmann sah sich mit zweifelnder Miene um.
»Hier gibt's nicht viel zu jagen, glaube ich.«
»Wir werden unser Glück trotzdem versuchen«, erklärte ich ihm. »Hol uns morgen hier um dieselbe Zeit wieder ab, dann werde ich dir das Doppelte von dem bezahlen, was du heute bekommen hast.«
Ihm war es letztlich einerlei, also willigte er ein. Auf der ganzen Welt gehen die Leute davon aus, daß alle Ausländer verrückt sind. Deshalb kommt man in einem fremden Land mit exzentrischem Verhalten so gut durch. Er stieß sein Boot vom Ufer ab und war bald außer Sichtweite. Wir
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