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Der Musentempel

Der Musentempel

Titel: Der Musentempel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Maddox Roberts
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Deck und Rumpf zu zerschlagen und sie zu versenken. Vielleicht war das der wahre Kern der Geschichte. Als ich fertig war, war es dunkel geworden und mein Krug fast geleert. Es war eine faszinierende Lektüre gewesen, obwohl sie einige Fragen offenließ. Ich wußte immer noch nicht, warum der Mörder die Schriftrolle mitgenommen hatte. Er mußte doch wissen, daß es zumindest eine Kopie gab, und zweifelsohne gab es weitere in anderen Händen. Hatte Iphikrates sich im Original möglicherweise Notizen gemacht? Das hielt ich für unwahrscheinlich. Die Bibliothekare hätten es bestimmt für einen Frevel gehalten. Der Text und die Zeichnungen wären für den Hauptmann eines Trupps von Maschinenbauern, die eine Stadt oder Festung zu belagern hatten, von allergrößtem Nutzen gewesen; aber ich konnte nichts darin entdecken, was einen Möchtegern-Eroberer davon überzeugt hätte, daß hierin etwas verborgen lag, das das Gleichgewicht der Macht erschüttern könnte und sich zum Nachteil Roms auswirken würde. Es mußte mehr hinter der Sache stecken, und es hatte etwas mit Bitons Originalmanuskript zu tun, was vor mehr als einem Jahrhundert Attalos zugeeignet worden war.

VII
    Im Licht einer Lampe legte ich die Jagdgewänder an, die Hermes in der gut sortierten Kleiderkammer der Botschaft gefunden hatte. Die Tunika war rostbraun mit einem olivgrünen Doppelstreifen von den Schultern bis zum Saum. Die hohen roten Lederstiefel waren mit gepunktetem Servalfell besetzt. Die zierlichen Tatzen baumelten über dem Schienbein. Alles in allem eine schneidige Ausstattung, so daß es mir richtig leid tat, daß Julia keine Gelegenheit haben würde, mich darin zu bewundern.
    Hermes erwartete mich vor meiner Tür und verließ mit mir gemeinsam die Botschaft. Er war bepackt mit unserer Jagdausrüstung: kurze Speere, ein Bündel aus zwei Umhängen, ein Ranzen Reiseproviant sowie ein riesiger Weinschlauch. »Ich muß das hoffentlich nicht weit schleppen!« grummelte er.
    »Hermes, wie hättest du je in der Legion überleben wollen?
    Weißt du, was ein Soldat alles mit sich herum zu schleppen hat?«
    »Na und?« meinte er. »Die Legion ist was für Bürger. Und ich wette, daß du nie soviel tragen mußtest. Du warst Offizier.«
    »Um deine Frage zu beantworten, wir werden den größten Teil der Reise per Schiff zurücklegen.«
    Trotzdem war es ein langer Marsch. So früh am Morgen war die Stadt praktisch menschenleer. Als wir an der makedonischen Garnison vorbeikamen, war es eben hell genug, um zu erkennen, daß die Kriegsmaschine, wie ich prophezeit hatte, nirgendwo zu sehen war. Wir nahmen die Kanopos-Straße und folgten ihr durch die Stadt, bis wir den Kanal erreichten, der quer durch Rhakotis verläuft und den Kibotos-Hafen mit dem Nilkanal und dem Mareotis-See verbindet. An einer Brücke über den Kanal machten wir halt, und Hermes setzte schwer seufzend seine Last ab. Ich stieg die Treppe hinab zu dem breiten Gehsteig, der den Kanal auf der gesamten Länge säumte. Auf dem Kanal war ein dichtes Gewimmel aus Booten und Flößen, die meistens Bauern gehörten, die ihre Waren zu den Märkten der Stadt brachten. Ich fand einen Steg mit Ausflugsbarkassen. Die Bootsmänner saßen in ihren Schiffen. Als ich mich näherte, trat ein Hafenvorarbeiter auf mich zu und musterte meine Kleidung.
    »Du willst auf die Jagd gehen, Herr? Ganz in der Nähe findet man Löwen, Gazellen...«
    »Wonach ich im einzelnen jagen werde, habe ich noch nicht entschieden«, erklärte ich dem Mann. »Gibt es hier einen Bootsmann, der den Philosophen Iphikrates von Chios auf seinen Expeditionen befördert hat?«
    Der Mann sah mich verwirrt an, drehte sich jedoch um und redete die Bootsleute auf ägyptisch an. Ein Mann erhob sich und stieg aus seinem Schiff. Er wechselte ein paar Worte mit dem Vorarbeiter, der sich wieder an mich wandte.
    »Dieser Mann hat Iphikrates dreimal gefahren.«
    »Sag ihm, daß ich dorthin will, wo Iphikrates war.« Nach einigem Verhandeln hatten wir uns auf einen Preis geeinigt.
    Hermes und der Bootsmann verstauten das Gepäck in dem kleinen Boot, während ich es mir im Bug bequem machte.
    Nachdem wir abgelegt hatten, trieben wir still an der erwachenden Stadt vorbei.
    Der Bootsmann war ein typischer Vertreter der ägyptischen Flußbewohner. Er hatte kurze O-Beine und sich in seinem Leben wahrscheinlich nur selten an Land bewegt. Seine Beherrschung des Griechischen war recht rudimentär, und er sprach kein einziges Wort Lateinisch. Schweigsam und

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