Der Musentempel
überhaupt etwas, für mich?
Das Messer, das in ihrem Körper steckte, gehörte nicht mir.
Erleichtert erinnerte ich mich daran, daß ich meine Waffen weggeschlossen hatte, bevor ich mich zur Ruhe begeben hatte.
Daraus ließ sich vielleicht etwas machen. Ich hatte bestimmt keinen Grund, sie zu töten, aber ich hatte genug Erfahrung mit Mordprozessen, um zu wissen, daß ein Motiv die nachgeordnetste aller Erwägungen ist, vor allem wenn die Beweise stark gegen den Angeklagten sprachen. Und in diesem Fall waren sie ganz besonders erdrückend.
Wie hatte man es angestellt? Es war ganz einfach. Der Palast lag in tiefem Schlaf, und ich war so betrunken gewesen, daß ich nicht einmal die Ankunft einer Horde marodierender Gallier bemerkt hätte. Man hatte Hypatia in meinem Bett deponiert, und dann waren die Mörder oder ihre Lakaien wieder gegangen, wie Händler, die eine Lieferung gebracht hatten.
Doch warum hatten sie mich nicht umgebracht? Wenn Achillas und Ataxas entschlossen waren, meinen Ermittlungen ein Ende zu bereiten, wäre es doch, so kam es mir vor, das einfachste gewesen, den Dolch in meinem Herzen zu hinterlassen und nicht in dem einer unschuldigen Frau. Nicht, daß Hypatia besonders unschuldig gewesen wäre, weder in ihrem Berufsleben noch in ihren Absichten gegenüber den Verschwörern. Ein Kerker ist ein ausgezeichneter Ort, ohne jede Ablenkung über solche Fragen nachzudenken, obwohl ich als regelmäßige Übung doch davon abraten möchte.
Ich wünschte, ich hätte meine Freunde Cicero und Milo in dieser Sache konsultieren können. Mit Ciceros juristischer Erfahrung und Milos kriminellem Genie hätten wir das Problem binnen Minuten geknackt. Cicero hatte mir einmal erklärt, daß viele Männer, die sich in juristischen Schwierigkeiten befanden, unfähig waren, ihre eigene Situation zu begreifen, weil sie sich selbst für den Mittelpunkt des Problems hielten. Jeder Mensch existiert im Zentrum seines eigenen Kosmos und glaubt, daß die Sorge der Götter und Mitmenschen in erster Linie ihm gelten muß. Das ist ein gravierender Irrtum, gegen den man sich wappnen muß.
Ich vermutete, daß Achillas hinter der ganzen Geschichte steckte. Ataxas war sein Komplize und Strohmann. Milo hatte mir erzählt, daß er die anderen Bandenführer in Rom bezwungen hatte, indem er einfach wie sie gedacht hatte. So konnte er jede ihrer Attacken voraussehen. Das Schwierige war nur, meinte er, den Gedankenprozeß eines Menschen nachzuvollziehen, der dümmer war als man selbst, was praktisch immer der Fall war.
Achillas wollte mich aus dem Weg haben, aber war ich wirklich so wichtig? Er war immerhin ein Mann, den es nach dem Thron Ägyptens gelüstete. Meine Ermittlungen hatten ihm Arger bereitet und drohten, seine Pläne durcheinander zu bringen, doch was konnte das im Kontext seines größeren Vorhabens schon bedeuten? Seit mehr als einem Jahrhundert gab es ein stillschweigendes Übereinkommen, daß Herrscher Ägyptens derjenige war, den die Römer favorisierten. Und Rom hatte sich aus Gründen der Stabilität und Beständigkeit dafür entschieden, die schwachen, dümmlichen, aber traditionsreichen Ptolemäer zu unterstützen.
Nicht ich war Achillas' Problem. Rom war Achillas' Problem.
Und ich hatte ihm zuvorkommenderweise eine wunderbare Waffe gegen Rom an die Hand gegeben. Ich, ein römischer Diplomat, hatte eine freie Bürgerin Alexandrias ermordet. Und ich hatte die Tat nicht nur in der Stadt, sondern direkt im Palast begangen. Die Stadt stand bereits an der Schwelle zu antirömischen Ausschreitungen, und ich hatte Öl ins Feuer gegossen.
Und da gab es noch das alte gallische Sprichwort von den zwei Vögeln, die man mit einem Pfeil erledigt, oder so ähnlich.
Die verräterische Hypatia mußte ohnehin aus dem Weg geschafft werden, warum also sollte sie nicht mein armes, unschuldiges Opfer sein? Und das lenkte meine Gedanken in andere Bahnen. Hatte man ihren Verrat entdeckt, oder hatte Achillas ihn von Anfang an geplant? Vielleicht hatte man ihr eine Rolle zugewiesen, selbstverständlich ohne daß sie ahnte, dafür mit einem Dolch im Herzen bezahlt zu werden. Eine athenische Hetaira erhält eine Ausbildung, die der einer Schauspielerin vergleichbar ist, und sie hatte genau gewußt, wie sie mich aus der Reserve locken konnte, indem sie mich abwechselnd nach dem Buch und ihrem Körper gieren ließ. Und sie wußte, daß eine Frau unfehlbar jeden jungen Mann kontrollieren kann, indem sie ihn wissen läßt, daß sie ihn
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