Der Musentempel
eine Frau, und diese Frau mußte eine Adelige sein, vorzugsweise patrizisch. Es könnte auch nicht schaden, wenn sie vorzeigbar wäre. Fausta war perfekt, soweit es ihn betraf. Dabei vernachlässigte er die Tatsache, daß Fausta Fausta war. Es war, als würde man ein Pferd nur wegen seines Aussehens und seiner Heißblütigkeit kaufen, ohne zu bedenken, daß es einen möglicherweise abwerfen und fröhlich zu Tode trampeln konnte. Aber all das lag in der Zukunft.
»Ich beginne zu verstehen, was Julia an dir attraktiv findet, Decius Caecilius«, sagte sie als Einleitung.
»Daß ich im Kerker eingesperrt werde und mir ein Prozeß auf Leben und Tod gemacht wird?« fragte ich.
Sie setzte sich auf einen der zierlichen Stühle. »Wie ist es, nackt an eine Wand gefesselt zu werden? Ist es aufregend?«
»Wenn du willst«, sagte ich, »kann ich den Fessler und den Peitscher rufen, damit sich dich in den Keller bringen und richtig zünftig anketten. Hast du irgendwelche besonderen Wünsche die sie berücksichtigen sollen?«
»Oh, wenn man es freiwillig macht, ist es langweilig.«
»Fausta, du bist doch bestimmt nicht hergekommen, um mit mir Fragen der Unterhaltung zu erörtern?«
»Nein, ich bin gekommen, dir dies zu geben.« Sie reichte mir ein gefaltetes Stück Papyrus. »Es ist von Julia. Wirst du irgendeine Dummheit machen?«
»Bei der ersten sich bietenden Gelegenheit.« Ich nahm das Papyrus und entfaltete es. »Warum hat Julia es nicht selbst hergebracht?«
»Berenike hat darauf bestanden, daß Julia ihr bei der Auswahl eines Kleides für das Bankett heute abend behilflich ist. Sie besitzt etliche hundert, so daß mit Julia in nächster Zeit nicht zu rechnen ist. Julia meinte, es hätte ihr sehr gut gefallen, wie du ohne deine Kleider ausgesehen hast.«
»Sie hat eben einen exzellenten Geschmack.« Ich las die Nachricht. Das Haus, in dem Hypatia gelebt hat, befindet sich in der Straße der Zimmerleute gegenüber dem Theater. Es hat eine rote Fassade, und die Türpfosten sind mit geschnitztem Akanthuslaub dekoriert. Mach keine Dummheiten. »Hast du es gelesen?« fragte ich.
»Natürlich habe ich es gelesen. Ich bin doch keine Botensklavin. Warum willst du wissen, wo das Haus der armen Frau ist?«
»Ich habe meine Gründe. Warum bist du so neugierig?«
»Wenn dich so viele mächtige Männer so sehr hassen, muß an dir doch mehr dran sein, als ich dachte.«
»Ich fühle mich geschmeichelt, Zutritt zu deinen erlesenen Kreisen zu erhalten. Ja, auch ich bin das begehrte Ziel von Attentätern.«
»Ich finde, daß macht einen Mann interessanter und aufregender. Aber die arme Julia sieht das anders. Sie macht sich tatsächlich Sorgen um dich.« Zu meiner Erleichterung erhob sich Fausta. »Ich muß jetzt gehen, Decius. Ich glaube, wenn du lange genug lebst, könnte aus dir noch einmal ein interessanter Mann werden.« Und mit diesen Worten verließ sie mich.
Rufus kam vorbei, um mir mit zu teilen, daß Creticus sich nach Schiffen erkundigte, die demnächst nach Rom segelten.
Und wenn nicht nach Rom, dann irgendwohin. Ich hatte offensichtlich nicht mehr viel Zeit, meine Angelegenheiten in Alexandria zu regeln. Zum Glück hatte Creticus mir keine bewaffneten Wächter vor die Tür gestellt. Das lag vielleicht daran, daß es in der Botschaft keine bewaffneten Wächter gab.
Es gab natürlich immer noch den Peitscher und den Fesseler, aber jetzt, wo ich nicht länger unter Mordverdacht stand, wäre es unangemessen gewesen, mich von Sklaven bewachen zu lassen.
Als es ganz dunkel geworden war und sich jeder in seine Gemächer zurückgezogen hatte, warf ich einfach meinen Umhang über und ging.
Wieder schlich ich bei Nacht durch die Straßen Alexandrias.
Das Theater war eines der Wahrzeichen der Stadt, und ich steuerte zielstrebig darauf zu. Die Theater in Griechenland waren stets an Hängen errichtet, um sich die natürliche Beschaffenheit der Landschaft zunutze zu machen. Da Alexandria eine vollkommen ebenerdige Stadt war, war das hiesige Theater ein freistehendes Gebäude, ganz ähnlich dem, das Pompeius damals auf dem Campus Martius in Rom errichten ließ. Es war weithin sichtbar, und ich sah es fast sofort, nachdem ich das Palastgelände verlassen hatte.
Das Theater in Alexandria war, genau wie der Circus Maximus in Rom, die größte Promenade für Prostituierte. Irgend etwas an den dunklen Bogengängen muß ihrem Gewerbe förderlich sein. Es gab Praktizierende der beiden üblichen Geschlechter sowie einige, die
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