Der Musentempel
Gerichten ausgesagt.«
»So sprich, gelehrter Asklepiodes«, sagte Ptolemaios.
Asklepiodes trat in die Mitte des Saales, wedelte bühnenreif mit seiner Robe und begann.
»Euer Majestät, Eure Exzellenzen von den Botschaften, ehrwürdige Damen und Herren des Gerichts, ich schwöre bei Apollos Silberbogen, bei Hermes dem dreifach Großen und bei Hippokrates, dem Begründer meiner Kunst, daß meine folgenden Ausführungen die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit sind.«
»Der hat echt Stil, was?« flüsterte Rufus.
»Psst!« sagte ich.
»Die Frau, die man als Hypatia, Heteira aus Athen, identifiziert hat, starb irgendwann in den frühen Morgenstunden.
Ihr wurde unterhalb der linken Brust ein Messer zwischen die Rippen gestoßen, doch dieser Stoß wurde erst nach ihrem Tod geführt. Todesursache war ein kleiner Schnitt in die Halsschlagader, direkt unterhalb ihres linken Ohres.« Alle beugten sich vor, um seinen Worten zu lauschen, die mit einer nur schwer zu beschreibenden Klangfülle und subtilen Gesten vorgetragen wurden.
»In der Leiche war fast kein Blut mehr, wie es bei solchen Wunden häufig der Fall ist. Trotzdem hat man weder im Raum noch im Bett Blutspuren gefunden, mit Ausnahme eines Blutflecks auf dem Gewand, das auf dem Boden lag, sowie einigen Blutresten, die das Haar der Frau verklebten. Beides reicht aber nicht aus, um den Zustand der Leiche zu erklären.« »Das heißt?« fragte Ptolemaios.
»Die Frau wurde woanders ermordet und erst dann in die Botschaft gebracht und ins Bett des Angeklagten gelegt.« Ein langer Seufzer ging durch den Saal.
Achillas zuckte die Schultern. »Dann hat er sie eben woanders umgebracht und sie dann mit ins Bett genommen. Die Römer sind nekrophil. Das habe ich schon immer gesagt.«
»Und dies«, fuhr Asklepiodes fort, »ist das Messer, das in den Körper der unglückseligen Frau gestoßen wurde.« Er hielt eine Waffe mit einem Knauf aus Knochen und einer gut zwanzig Zentimeter langen, leicht gebogenen, einschneidigen Klinge hoch. Jetzt konnte man deutlich hören, wie die römische Delegation die Luft anhielt.
»Ist das von Bedeutung?« fragte Ptolemaios.
»Euer Majestät«, sagte Creticus, »das verändert die Lage! Ich bin jetzt weit geneigter, die Unschuldsbehauptung meines unruhestiftenden jungen Verwandten zu unterstützen.«
Ptolemaios musterte das Messer mit blutunterlaufenen Augen.
»Für mich sieht es ganz gewöhnlich aus.«
»Das ist es vielleicht in Alexandria«, erwiderte Creticus, dessen Advokatenblut langsam in Wallung kam, »aber nicht in Rom! In Rom nennt man eine solche Waffe eine Sica. Wie du erkennen kannst, ist sie gebogen und hat nur eine Schneide.
Nach römischem Recht gilt sie als ruchlose, unehrenhafte Waffe, wie sie mit Vorliebe von gemeinen Mördern und thrakischen Gladiatoren verwandt wird. Als ehrenhaft gelten die geraden und zweischneidigen Waffen, Pugio und Gladius. Das sind ehrliche Waffen für freie Bürger!«
»Du meinst, die bloße Form der Klinge macht eine Waffe ehrenhaft und eine andere ruchlos?«
»Genau«, bestätigte Creticus. »Ich weigere mich zu glauben, daß ein Verwandter von mir einen feigen Mord begehen könnte. Aber wenn, würde er ihn mit einem Pugio oder einem Gladius ausführen, vielleicht sogar mit bloßen Händen, auf keinen Fall jedoch würde er so tief sinken, mit einer Sica zu töten!«
»Hört! Hört!« rief das römische Kontingent einschließlich meiner Person.
»Euer Majestät«, sagte Achillas, »sollen wir nicht nur irgendwelchen Sophisten Glauben schenken, sondern auch noch den undurchdringlichen Blödsinn römischer Gesetze in Betracht ziehen? Dieser Mann hat Schande über den ganzen ägyptischen Hof gebracht und damit auch die Verachtung demonstriert, mit der Rom unsere Nation bedenkt!«
»Fürst Achillas«, sagte Ptolemaios, »du machst einen Riesenaufstand wegen einer toten Hure, und ich befehle dir, sofort damit aufzuhören.« Es war nett, den alten Trunkenbold einmal ein wenig Zähne zeigen zu sehen. Achillas nickte unmanierlich. Ptolemaios wandte sich uns zu.
»Eure Exzellenz, ich bin jetzt durchaus geneigt, der Unschuldsbehauptung deines Verwandten Glauben zu schenken, obwohl die Geschichte rätselhaft ist. Eure juristischen Bräuche sind uns fremd, aber ich bezweifle nicht, daß sie euch absolut vernünftig erscheinen. Fürst Orodes«, er wandte sich dem Parther zu, »wenn es zur Klärung der Angelegenheit beiträgt, werde ich den Vertrag der toten Frau persönlich auslösen.
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