Der Musikversteher
mit ungeschnittenen Nägeln und mit trüben Augen, und wenn du gefragt wirst, woher du kämst, sollst du sagen: ›Aus der Hölle‹, und wenn du gefragt wirst, wer du wärst, sollst du sagen: ›Des Teufels rußiger Punkbruder und mein eigener König auch.‹« Der soldatische Musikus schwieg still und tat, was der Teufel sagte, aber er war mit seinem Lohn gar nicht zufrieden und fluchte heimlich über die Alt-68er.
Sobald er nun wieder oben im Großstadtdschungel war, hob er seinen Ranzen vom Rücken und wollt ihn ausschütten; wie er ihn aber öffnete, so war der Kehrdreck pures Gold geworden. »Das hätte ich mir nicht gedacht«, sprach er, »aus Dreck Gold machen, das ist eine Kunst, die mir gefällt. Ich gründe eine Punkband.« Vergnügt wanderte er zum nächsten Grandhotel, und wie ihn der Portier herankommen sah, erschrak er, weil der Musikus so entsetzlich aussah, ärger als eine Vogelscheuche. Er rief ihn an und fragte: »Woher kommst du?« – »Aus der Hölle.« – »Wer bist du?« – »Dem Teufel sein rußiger Punkbruder und mein eigener König auch.« Nun wollte der Portier ihn aus Angst nicht einlassen, aber da eilte der Hotelmanager herbei, der kannte sich aus mit Pop und Punk und Teufelsbrüdern und marketingrelevanten Eigenkönigen, und er witterte das Gold und klinkte selber die Türen auf. Da ließ sichunser Studiomusiker die beste Stube geben und köstlich aufwarten, aß und trank sich satt, wusch sich aber nicht und kämmte sich nicht, wie ihm der Teufel geheißen hatte, und legte sich endlich schlafen. Weil er sich aber in Märchen auskannte, passte er höllisch auf, und als der gerissene Manager versuchte, den Goldranzen zu stehlen, da trat er ihm so recht nach Punkerart so kräftig in die Eier, dass ihm schwarz vor Augen wurde und ihm die Ohren dröhnten wie von einem überlauten Punkkonzert.
Als der Morgen kam, machte sich der Studiomusikus auf den Weg heim zu seinem Vater, kaufte sich vom Golde ein respektables Equipment und gründete eine Neo-Grunge-Gruppe. Mit der aber machte er eine höllisch gute Musik, denn er hatte bei dem Teufel sehr viel mehr als drei Akkorde gelernt, und er war deshalb unter Punkern eigentlich völlig überqualifiziert. »Doch«, so sprach er, »lieber dumm tun und klug sein als umgekehrt.«
»Des Teufels rußige Brüder«, so nannte sich die Gruppe, und für alle gewaltigen satanischen Höllen-Grunge-Spektakel war sie bestens gerüstet. Und auch die Bandmitglieder durften sich sieben Jahre nicht waschen, nicht kämmen, nicht schnippen, keine Nägel und Haare abschneiden und kein Wasser aus den Augen wischen. Das aber war ein Erfolgsrezept, das sich gewaschen hatte und bei großen Teilen der Jugend sozusagen stinknormal wurde, und der kleine 68er-Musik-Teufel rieb sich die Hände und war’s zufrieden.
So viel Wind wurde von Punk und Grunge gemacht, dass er mit den höllischen Ausläufern seines Sturmtiefs auch die gutbürgerlichen Gegenden der guten alten Bundesrepublik Deutschland erreichte. So wurde sogar in Düsseldorf so manches Verstaubte einfach weggeblasen, und Campino und seine Toten Hosen sorgten auf – genretypisch – dilettantische und zugleich klugkritische Weise für eine Aufmerksamkeit, die nicht nur in Verweigerung verharrte, sondern Veränderungsbereitschaft signalisierte.
Die Toten Hosen HIER KOMMT ALEX (1988)
– http://www.youtube.com/watch?v=5X-yqPhItr8
Nun also ein Widerspruch in sich: eine Punk-Band aus dem gutbürgerlichen Düsseldorf. Unser Song hat aber mit Punk nur am Rande zu tun; er war Teil einer Theatermusik zu Burgess’ Clockwork Orange in Bonn-Bad Godesberg. Es gibt noch zwei andere Versionen des Songs, jeweils mir originaler Beethoven-Intro: Alex, der Protagonist, ist ein brutaler Menschenquäler und zugleich Beethoven-Fan (und mit Beethoven wird er dann auch psychiatrisch zwangsresozialisiert). Welche Töne finden die »Hosen« für die unbändige Wut von Alex?
Intro und Strophe 1 (0’00’’– 0’18’’) sind von sanfter Schönheit: milde Gitarren, Balladenharmonik in d-Moll-Dorisch. Sowohl die Gitarrenfigur als auch das harmonische Modell sind für den ganzen Song grundlegend. Hören wir die Strophe – vielleicht ändert sich ja die Haltung des Stücks.
Im ersten Teil der ersten Strophe (0’13’’– 0’42’’) wird deutlich: Die trügerische Sanftheit zu Beginn kennzeichnet die Gleichgültigkeit des täglichen Trotts; dann die Auflehnung: Rhythmusgitarre, Bass und Schlagzeug setzen harten
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