Der Musikversteher
Rocksound dagegen.
Im nächsten Teil der Strophe (0’42’’– 0’58’’) erhöht sich die Aggressivität, besonders durch die Beschleunigung der Notenwerte auf Sechzehntel-Tonrepetitionen.
Mit »Hey« beginnt der Refrain (0’57’’–1’24’’): neue Melodie, neue Harmonik, Stimme vervielfacht, großer Klangraum; »Vorhang auf für ein kleines bisschen Horrorschau«.
Die ordentlichsten Songs stammen in der Regel von Punk-Bands. So auch hier. Aber dann doch noch: eine Überraschung! Bitterböse neue Strophe (2’35’’– 3’04’’) – es geht um die blutige Sinnlosigkeit der Gewalt-Streifzüge von Alex’ Bande.
Gehämmerte Achtelnoten, keine Akkorde mehr in den Gitarren, nur noch nackte Einzelnoten. Frage an den Lieben Gott: Warum hast du nichts getan?
Campino und sein Komponist Andreas Meurer setzen auf Elemente der straighten Rockmusik; Kontraste sind sehr sinnfällig inszeniert. Die musikalischen Mittel sind einfach (immerhin Punk-Nähe), aber sehr plausibel eingesetzt.
Nirvana SMELLS LIKE TEEN SPIRIT (1991)
– http://www.youtube.com/watch?v=7aWiLGplKHs
Aus dem L’art-pour-l’art -Prinzip des 19. und 20. Jahrhunderts (also die Kunst nur um der Kunst willen, die nur sich selbst verantwortlich ist) wurde im Seattle-Grunge von Kurt Cobain oft ein la provocation pour la provocation, die Provokation als Selbstzweck. Aber das war dann häufig so attraktiv gemacht und traf gleichzeitig gesellschaftliche Missstände und persönliche Deformationen von Menschen in dieser Gesellschaft so exakt, dass es über die Selbstzweckhaftigkeit der provokativen Grundhaltungen dann doch weit hinausging. Eigentlich war »Teen Spirit« ein Markenzeichen eines simplen Teenie-Deodorants, aber in diesem Song riecht es selbstverständlich nach weit mehr.
Am Beginn des Songs (0’00’’– 0’40’’) erklingt eines der berühmtesten Gitarrenriffs der Popgeschichte (vergleichbar etwa dem von SATISFACTION der Stones oder SMOKE ON THE WATER von Deep Purple): Wir hören »power chords« in f-Moll, das bedeutet in diesem Fall: Die melodische Linie im »Zickzack«, bestehend aus repetierten Tönen; f steigt auf zum b, geht hinab zum as, as steigt wiederum auf zum des 1 . All das wird mit permanenten Quartparallelen gespielt, die unter dem jeweiligen Ton liegen, also c+f, f+b, es+as, as+des 1 . Die Beliebtheit bei Gitarristen liegt sozusagen auf der flachen Hand: Quartparallelen sind wegen der Gitarrenstimmung sehr leicht auszuführen. Darüber hinaus muss aber auch ein physikalisches Phänomen in Erwägung gezogen werden: Der jeweils obere Ton dieser Quarten wirkt als verstärkter Grundton (c und f sind dritter und vierter Partialton eines Partialton-Spektrums über F 1 ). Alsorepräsentiert diese Linie gleichzeitig eine Akkordfolge, ohne dass überhaupt Akkorde erklingen: f-Moll, b-Moll, As-Dur, Des-Dur. (Es gibt power chords auch in der Form von Quintparallelen.)
Bei den Wiederholungen dieses viertaktigen Patterns erfahren der Sound und die Lautstärke eine permanente Steigerung und Verdichtung, die aber kurz vor Einsatz der Singstimme wieder zurückgenommen werden: So wird die Stimme als Ereignis inszeniert.
Die Strophe (ab 0’40’’) ist, nach den Lärmattacken der Intro, eine klanglich zurückhaltende Erzählung in f-Äolisch mit nihilistischer Grundhaltung, mündend in ein fast dadaistischresignierendes »hello, hello, hello, how low«, das die Funktion eines Prechorus hat.
Roh, grob, schmutzig kommt dann das Riff als geschriener Refrain (ab 1’12’’) wieder: »I feel stupid and contagious. Here we are now, entertain us. A mulatto, an albino, A mosquito, my libido, Yeah, hey, yay.« Nicht einmal mehr die Powerakkorde sind da, nur noch ein kahl verzerrtes Unisono.
Es folgt ein kurzes zweigeteiltes instrumentales Zwischenspiel (ab 1’38’’): ein geräuschhaft-schmutziger Kommentar und die ruhige Vorbereitung der nächsten Strophe. Die und der nächste Refrain sind ganz regulär gebaut, nur das zweite Zwischenspiel (mit Solo) wird ausgeweitet, ebenso dann der letzte Refrain zu einer Coda, die mit einem endlos repetierten »a denial« schließt: die große Verweigerung.
Hier findet die Idee des Punk zu sich selbst: Seine Grundhaltungen werden auf eine Weise realisiert, dass sie für die meisten Hörer unmittelbar verständlich sind. Zugleich aber werden nicht, wie es sonst so häufig geschieht, simple Klischees aneinandergereiht; Wut, Ironie und Verweigerung finden die ihnen angemessenen
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