Der Musikversteher
Verhältnisse –, dann ist der (verkauftsträchtige) Provokationsfaktor ganz besonders hoch.
Rhythmisch erleben wir einen Triumph der einfältig-geraden Zweier-Potenzen: Vierertakt, und die Takte immer zu zwei, vier, acht Takten zusammengeschlossen. Permanent »gerade« auch die durchgehämmerten Achtelnoten mit ihren Tonrepetitionen, und immer acht oder sechzehn Achtel pro Tonhöhe. Immerhin gibt es gelegentlich Nebennoten, Vorhalte, Verzierungen zu diesen Repetitionstönen.
Dass es für Sid Vicious (der Nichtmusiker John Simon Ritchie) wichtiger war, den E-Bass spektakulär optisch zu traktieren als ihn musikalisch einigermaßen zu beherrschen, führte dazu, dass sein Part in weiten Teilen im Studio von einem Profi eingespielt werden musste.
Wenn überhaupt Akkorde erklingen (häufig sind nur Bass und Stimme relevant), dann sind es die schlichtesten Dur-Akkorde:
Zunächst ist es in der Intro (0 – 0’22’’) und der Doppelstrophe 1 (0’22’ – 0’48’’) nur A-Dur bzw. das Pendel I – IV (A-Dur – D-Dur, Tonika und Subdominante). Text: von »God save the queen, her fascist regime« bis »There is no future in England’s dreaming« = rhythmisierter Sprechgesang.
Später (0’48’’– 1’01’’) wird – charakteristisch um die Tonhöhen e 1 und dis 1 »herumeiernd« – auch gesungen; V – II (E-Dur – H-Dur, Dominante und Doppel-Dominante); Text: »Lass’ dir nichts erzählen … no future«.
Die beiden Teile alternieren permanent, mit Anklagen gegen Englands crime -history; immerhin, ein hübsches Gitarren-break ist dabei (2’05’’– 2’20’’), und die zentrale Aussage in der Coda (ab 2’33’’) wird im Unisono der Stimme und aller Instrumente vorgetragen: »no future for you, no future for me«.
Die von John Lydon (»Johnny Rotten«) herausgeschrieeneund auch von der Gruppe in der Bühnenperformance vorgelebte Verweigerungshaltung traf das Lebensgefühl großer Teile der Pistols-Generation. Die Provokationen vermochten in den Siebzigern noch wirklich so zu provozieren, dass Polizeimaßnahmen, Verhaftungen, Sendeverbote die Folge waren, ebenso Aufkündigungen von Plattenverträgen.
Ob ich nun dem Establishment den Hintern zeige oder (als Spielplatz-Kinder-Szene, die metaphorisch auch in jedes Büro oder in Vorstandssitzungen passt) im Sandkasten den anderen in die Förmchen pinkle, das ändert an den Verhältnissen gar nichts. Aber ich fühle mich verhältnismäßig gut, zumindest vorübergehend.
Ironie der Geschichte: Vivienne Westwood, die große Modemacherin der Londoner Punkbewegung und Sex-Pistols-Vertraute – ich konnte sie als Professoren-Kollegin an der Universität der Künste in Berlin erleben. Und sie nahm ihren bürgerlichen Job ganz unbürgerlich ernst. Der Geist der Revolte aber blieb, ins Künstlerische transformiert.
Dieser Geist der Revolte ergriff auch im Märchen so manchen braven Musiker, und wenn der dann auch noch einem kleinen Teufel (in Gestalt eines Altachtundsechzigers) in die Hände geriet, konnte die Revolte stürmische Ausmaße annehmen.
Des Teufels rußiger Punkbruder
Es war einmal ein Musiker, der tat seinen Dienst in einem Studio, und dem hatte sein Boss gesagt: »Also ihr Studiomusiker, ihr seid Soldaten im Krieg des Musikbusiness!« Da war der Musikus ein wenig stolz, aber dann dachte er sich: »So ein Soldat, der springt auch gern einmal über die Klinge.« Und richtig, es kam der Tag, da sollte der Musikersoldat abdanken, und er musste den wundersam sparsamen Apparaten des Samplings seinen Platz räumen und gar sein Instrument versetzen. So hatte er nichts zu leben und wusste sich nicht mehr zu helfen und ließ endlich auch alle Hoffnungfahren, wenigstens im Musikantenstadl ein Gnadenbrot zu finden. Nun ging er hinaus in den Großstadtdschungel, und wie er sich schon verloren glaubte in den Häuserschluchten und den Schlingpflanzen, da begegnete ihm ein kleines Männchen, aber das war der Teufel.
Das Männchen sagte zu ihm: »Was fehlt dir? Ich liebe die Musik, und du bist doch Musiker, und du siehst so trübselig aus?« Sprach der Musikantensoldat: »Ich habe Hunger, aber kein Geld und kein Instrument mehr.« Der kleine Musikteufel aber war gebildet, hatte 68 aktiv mitgemacht und prahlte gern damit. »Ich bin der Geist, der stets verneint«, so versetzte er, »klar, die Hölle, das sind die anderen, aber es gibt viele Höllen und viele Teufel, wie schon mein Kollege Sartre wusste.« Als ihn nun der Studiomusikus mit
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