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Der Musikversteher

Der Musikversteher

Titel: Der Musikversteher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hartmut Fladt
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sind: überzeugend aus Überzeugung. Wenn das aber mit einem geschäftlichen Erfolgsmodell verknüpft ist, dann darf über Ideologie, über falsches gesellschaftliches Bewusstsein gern nachgedacht werden.
Das Märchen von der schönen Spencerin
    Es war einmal ein Spencer, der war ein britischer Earl und tat daher arm, aber er hatte eine Tochter, Di war schön. Nun traf es sich, dass er mit Charlie Königssohn zu sprechen kam, und um sich ein Ansehen zu geben, sagte er zu ihm: »Ich habe eine Tochter, die liebt den seichten Pop, und die hat Stroh im Kopf, und die spinnt, und die kann das zu Gold machen.« Charlie Königssohn aber dachte an seine Finanzklemme und sprach zum Spencer: »Das ist eine Kunst, die mir wohl gefällt; wenn deine Tochter so geschickt ist, wie du sagst, dann kann ich über den seichten Pop hinweghören, also bring sie morgen in mein Schloss.« Und anderntags ward eine gewaltige Hochzeit gefeiert, mit viel Hochzeitsmarsch und Kirchengesang und noch mehr Pop Light, und wenn sie nicht gestorben sind, dann ist das Märchen jetzt aus. Aber es geht natürlich weiter, weil wir alle so neugierig sind.
    Charlie Königssohn jedoch, der liebte die Klassische Musik, under war auch heimlich ein Ökobauer, ein Hobbyarchitekt und ein Aquarellchenmaler. So ging er in den Wald und entfachte ein Feuerchen. Als ob er es geahnt hätte, dass diese Komposition in diesem Teil des Buches noch analysiert wird, drehte er seinen Königlichen Ghettoblaster mit dem dämonischen Scherzo aus Beethovens IX. Symphonie so voll auf, dass der Wald ob der Paukenschläge wackelte, und er tanzte und sang dazu mit lauter Stimme: »Heute hack ich, morgen bau ich oder mal ich, übermorgen mache ich der Spencerin ein Kind. Ach wie gut, dass niemand weiß, dass mein Stilzchen rumpelt heiß.«
    Am Abend aber führte er das Mädchen in eine Kammer und sprach: »Jetzt mache dich an die Arbeit, und wenn du diese Nacht durch bis morgen früh dein Kopfstroh nicht zu Gold gemacht hast, dann gehe ich mit Camilla im Park bowlen.«
    Da saß nun die arme Spencerstochter und wusste um ihr Leben keinen Rat, und auch aller Seichtpop aus ihrem kleinen rosa Recorder konnte sie nicht trösten. Und wie sie endlich zu weinen anfing, da ging auf einmal die Tür auf, und herein tänzelte ein kleiner Medienmogul und sprach »Guten Abend, schöne Spencerin, warum weint Ihr so sehr?« – »Ach«, antwortete das Mädchen, »ich hab Stroh im Kopf und soll es zu Gold spinnen und verstehe das nicht.« Sprach das Männchen: »Was gibst du mir, wenn ich dirs spinne?« – »Die Veröffentlichungsrechte für mein Erstgeborenes – und für die Scheidung«, sagte Di junge Prinzgemahlin. »Top!«, rief da der Mogul, »oder besser: Lap-Top!« Und er setzte sich an sein Lap-Topchen und schnurr, schnurr, schnurr, dreimal Stroh gezogen, war eine Zeitungsseite voll, und so ging’s fort bis zum Morgen, da war alles Stroh versponnen, und alle Medien waren voll Gold.
    Bei Sonnenaufgang kam schon Charlie Königssohn, und als er die Bescherung sah, erstaunte er und freute sich nicht wenig, aber er wurde neidisch und noch goldgieriger. Und sein Herz ward zornig auf das Pop-Light-Gemüt der schönen Spencerin, denn er liebte die erhabenen Klänge aus der Zeit von Ur-ur-Grandma Victoria, und so tief und innig war seine Liebe, dass er eigens für die Plattencoverdieser Musik eine erklecksliche Anzahl von farbenfrohen Aquarellchen aufs Papier gebracht hatte.
    Und über die Jahre, als schon zwei stattliche Erben da waren, da outete er sich, aber so was von total, einem anderen Medienmogul, und auch der ward, wie schon der erste, unermesslich reich ob der Veröffentlichungsrechte. Das aber grämte die schöne Spencerin so sehr, dass sie hochgradig zickig wurde, und kein Zickness-Studio, kein Rittmeister, keine Musik gar konnte sie kurieren: nicht Madonna, nicht Pop Light, nicht einmal die Eltonkunst.
    Bei Tische ward sie gefragt: »Ziege, bist du auch satt?« – »Ich bin so satt, ich mag kein Blatt, meh meh.« Sie hatte sich aber heimlich den Finger in den Hals gesteckt, und der Presse erzählte sie dann: »Wovon sollt ich satt sein, ich sprang nur übers Gräbelein und fand kein einzigs Blättelein, meh meh.« Da entfachte die Presse einen mächtigen Zorn auf den Königssohn, und übers Jahr ward eine gewaltige Scheidung gefeiert, so recht mit allem Pipapo.
    Und wenn sie nicht gestorben sind – aber das ist jetzt sehr gemein, denn erst mal geht’s ja noch weiter, wie wir alle

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