Der Mythos des Sisyphos
mit einer tröstlichen Metaphysik zu tun habe. Und wenn ich die Wendung entdecken will, mit der das Denken den Weg der Evidenz verläßt, dann brauche ich nur die entsprechende Überlegung wiederzulesen, die HUSSERL für den Geist bereithält: Selbst wenn es den Geist nicht gäbe, wären seine Gesetze doch vorhanden! Nun verstehe ich: HUSSERL glaubt aus einer psychologischen Wahrheit eine rationale Regel ableiten zu müssen. Nachdem er die integrierende Macht der menschlichen Vernunft geleugnet hat, springt er mit diesem Winkelzug in die ewige Vernunft.
HUSSERLs Begriff vom kann mich dann auch nicht weiter überraschen. Wenn er mir erklärt, alle Wesenheiten seien nicht formal, sondern es gäbe auch materielle Wesenheiten, und die einen seien Gegenstand der Logik, die anderen Gegenstand der Wissenschaften, so ist das nur eine Frage der Definition. Das Abstrakte, versichert man mir, sei nur ein nicht durch sich selbst existierender Teil eines universalen Konkreten. Aber das bereits entdeckte Gleichgewicht erlaubt mir, die Verwirrung dieser Begriffe zu lichten. Das kann nämlich heißen: das konkrete Objekt meiner Aufmerksamkeit, dieser Himmel oder der Reflex dieses Wassers auf diesem Mantel behalten allein jenen Nimbus des Wirklichen, das mein Interesse in der Welt isoliert. Das werde ich nicht leugnen. Es kann aber auch heißen: der Mantel selber sei universell, habe seine besondere und befriedigende Wesenheit und gehöre der Welt der Formen an. Ich verstehe dann, daß nur die Reihenfolge eine andere geworden ist. Diese Welt spiegelt sich nicht mehr in einem höheren Universum, sondern der Himmel der Formen stellt sich dar in den vielen Bildern dieser Erde. Das ändert gar nichts für mich. Nicht die Vorliebe fürs Konkrete, -nicht den Sinn für die menschliche Situation finde ich hier, sondern einen Intellektualismus, der zügellos genug ist, das Konkrete selber zu verallgemeinern.
Demütige und triumphierende Vernunft kommen zum gleichen Ziel
Man sollte nicht erstaunt sein über den paradoxen Umstand, daß das Denken auf den entgegengesetzten Wegen einer demütigen und einer triumphierenden Vernunft seiner eigenen Verneinung zugeführt wird. Zwischen dem abstrakten Gott HUSSERLs und dem blitzeschleudernden Gott KIERKEGAARDs ist der Abstand nicht beträchtlich. Die Vernunft und das Irrationale führen zu derselben Predigt. Das bedeutet, daß der Weg in Wahrheit nicht so wichtig ist, es genügt durchaus der Wille, ans Ziel zu kommen. Der abstrakte Philosoph und der religiöse Philosoph gehen von derselben Verirrung aus und fußen auf derselben Angst. Wesentlich ist die Auslegung. Die Sehnsucht ist hier stärker als das Wissen. Es ist bezeichnend, daß das Denken unserer Zeit - wie selten ein Denken - von einer philosophisch begründeten Sinnlosigkeit der Welt durchdrungen und gleichzeitig in seinen Schlüssen äußerst zerrissen ist. Es schwankt fortwährend zwischen der äußersten Rationalisierung des Wirklichen, die zu dessen Zerstückelung in Vernunft-Typen verleitet, und seiner äußersten Irrationalisierung, die zu seiner Vergöttlichung verführt. Dieser Zwiespalt ist aber nur scheinbar, Es geht darum, sich wieder auszusöhnen, und dazu genügt in beiden Fällen der Sprung. Ganz zu Unrecht hält man den Begriff der Vernunft für eindeutig. So rücksichtslos die Vernunft in ihrem Ehrgeiz sein mag - tatsächlich ist dieser Begriff ebenso wandelbar wie alle anderen. Die Vernunft hat ein durchaus menschliches Gesicht, kann sich aber auch dem Göttlichen zuwenden.Seit PLOTIN, der sie als erster mit dem Klima des Ewigen auszusöhnen verstand, hat sie es gelernt, sich von ihrem liebsten Prinzip, dem Widerspruch, loszusagen und dafür das fremdeste, durchaus magische Prinzip des Teilhabens aufzunehmen 13 . Sie ist ein Instrument des Denkens und nicht das Denken selbst. Das Denken eines Menschen ist vor allem seine Sehnsucht.
Wie die Vernunft die Melancholie PLOTINs zu besänftigen verstand, so gibt sie auch der modernen Angst die Möglichkeit, sich in den vertrauten Kulissen des Ewigen zu beruhigen. Der absurde Geist hat weniger Möglichkeiten. Für ihn ist die Welt weder rational in diesem Grade noch
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