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Der Mythos des Sisyphos

Der Mythos des Sisyphos

Titel: Der Mythos des Sisyphos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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irrational. Sie ist unvernünftig, nichts weiter. Bei HUSSERL hat die Vernunft schließlich keine Grenzen mehr. Das Absurde dagegen fixiert ihre Grenzen, da sie nicht imstande ist, die Angst zu beruhigen. Andererseits behauptet KIERKEGAARD, eine einzige Grenze genüge, um sie zu leugnen. Soweit aber geht das Absurde nicht. Diese Grenze zielt für das Absurde nur auf den Ehrgeiz der Vernunft. Der Begriff des Irrationalen, wie er von den Existenzphilosophen verstanden wird, ist die Vernunft, die sich zersetzt und sich durch Selbstverneinung befreit. Das Absurde ist die erhellte Vernunft, die ihre Grenzen feststellt.
    Sie paßt sich an. Mit PLOTIN wird aus der logischen eine ästhetische Vernunft. Die Metapher ersetzt den Syllogismus.> B.: <Übrigens ist das nicht der einzige Beitrag PLOTINS zur Phänomenologie. Diese Halfung steckt schon in dem Gedanken, der dem alexandrinischen Denker so teuer war: es gebe nicht nur eine Idee vom Menschen, sondern auch eine Idee von SOKRATES.>

Die Rechte des absurden Menschen

    Am Ende dieses schwierigen Weges erkennt der absurde Mensch seine wahren Rechte. Wenn er seinen tiefen Anspruch mit dem vergleicht, was ihm geboten wird, fühlt er plötzlich, daß er sich abwenden muß. In HUSSERLs Universum klärt sich die Welt, und dieser dem Menschen eigene Hang zur Vertraulichkeit wird nutzlos. In KIERKEGAARDs Apokalypse muß dieser Wunsch nach Klarheit, wenn er befriedigt werden will, sich selbst verleugnen. Die Sünde besteht nicht so sehr im Wissen (in dieser Hinsicht sind alle unschuldig) wie im Verlangen nach Wissen. Gerade das aber ist die einzige Sünde, von der der absurde Mensch spürt, daß sie zugleich seine Schuld und seine Unschuld ist. Man schlägt ihm eine Lösung vor, derzufolge alle vergangenen Widersprüche nur polemische Spielereien sind. So aber hat er diese Widersprüche nicht empfunden. Er muß sich an ihre Wahrheit halten - nämlich daran, daß sie nicht befriedigend gelöst sind. Er wünscht keine Predigt.
    Meine Überlegung möchte dem Unabweisbaren, das sie aufgedeckt hat, treu bleiben. Diese Evidenz ist das Absurde. Es ist jener Zwiespalt zwischen dem sehnsüchtigen Geist und der enttäuschenden Welt, es ist mein Heimweh nach der Einheit, dieses zersplitterte Universum und der Widerspruch, der beide verbindet. KIERKEGAARD unterdrückt mein Heimweh, und HUSSERL bringt dieses Universum wieder zusammen. Nicht das hatte ich erwartet. Es ging darum, mit dieser Zerrissenheit zu leben und zu denken, zu wissen, ob man annehmen oder ablehnen soll. Es kann sich nicht darum handeln, das Unabweisbare zu maskieren, das Absurde zu unterdrücken, indem man eine Seite dieser Gleichung leugnet. Wir müssen wissen, ob wir damit leben können oder ob die Logik es verlangt, daß wir daran sterben. Ich interessiere mich nicht für den philosophischen Selbstmord, sondern für den Selbstmord an sich. Ich will ihn nur von allen Sentimentalitäten befreien und seine Logik und Rechtlichkeit erkennen. Jede andere Stellungnahme verlangt vom absurden Geist, daß er den Geist hinter dem verschwinden läßt, was er ans Licht bringt. HUSSERL sagt: man müsse dem Wunsch nachgeben, sich frei zu machen , aber am Ende stellt auch bei ihm der Sprung das Ewige und dessen Behaglichkeit wieder her. Der Sprung bedeutet keine äußerste Gefahr, wie KIERKEGAARD es gern möchte. Die Gefahr liegt im Gegenteil in dem kaum meßbaren Augenblick vor dem Sprung. Die Redlichkeit besteht darin, sich auf diesem schwindelnden Grat zu halten; alles andere ist Ausflucht. Ich weiß auch, daß die Ohnmacht nie so ergreifende Akkorde erzeugt hat wie bei KIERKEGAARD. Aber wenn die Ohnmacht in die gleichgültigen Landschaften der Geschichte gehört, dann sollte sie in einer Überlegung, deren Anspruch wir jetzt kennen, nichts zu suchen haben.

DIE ABSURDE FREIHEIT

Was zählt?

    Jetzt ist die Hauptsache getan. Ich verfüge über einige Wahrheiten, von denen ich nicht mehr loskommen kann. Was ich weiß, was sicher ist, was ich nicht leugnen kann, was ich nicht verwerfen kann - das zählt. Ich kann von diesem neuen Standpunkt aus alles leugnen, was von ungewissen Sehnsüchten lebt, nur nicht das Verlangen nach Einheit, den Wunsch, Entscheidungen zu treffen, den Anspruch auf Klarheit und Zusammenhang. Ich kann in dieser Welt alles widerlegen, was mich umgibt, mich vor den Kopf stößt oder

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