Der Mythos des Sisyphos
ihn mit einem Blitz erschlagen. Niemand hat dieses merkwürdige Ende nachgeprüft. Niemand hat das Gegenteil bewiesen. Aber ohne mich zu fragen, ob es wahrscheinlich sei, kann ich behaupten, daß es logisch ist. Ich will mich hier nur an den Begriff halten und mit den Worten spielen: das Leben selber sicherte seine Unschuld. Nur vom Tode her hat er eine jetzt legendäre Schuld bekommen.
Was anderes bedeutet jener steinerne Gast, diese kalte Statue, die da in Gang gesetzt wird, um das Blut und den Mut zu rächen, die zu denken wagten? Alle Mächte der ewigen Vernunft, der Ordnung, der allgemeinen Moral, die ganz seltsame Größe eines dem Zorne zugänglichen Gottes vereinigen sich in ihm. Dieser gigantische und seelenlose Stein symbolisiert nur die Mächte, die Don Juan für immer geleugnet hat. Und da hört die Mission des Komturs auf. Blitz und Donner können wieder in den fiktiven Himmel eingehen, aus dem man sie gerufen hat. Die wahre Tragödie spielt sich fern von ihnen ab. Nein, nicht von einer steinernen Hand ist Don Juan gestorben. Ich glaube gern an den legendären Hohn, an das unsinnige Gelächter des gesunden Mannes, der einen nicht existierenden Gott herausfordert. Aber ich glaube vor allem, daß der Komtur an jenem Abend, an dem Don Juan bei Anna wartete, nicht kam, und daß der Gottlose, als die Mitternacht vorüber war, die furchtbare Bitterkeit derer fühlen sollte, die recht hatten. Noch lieber akzeptiere ich die Erzählung seines Lebens, nach der er sich schließlich in ein Kloster vergräbt. Nicht, daß man die erbauliche Seite der Geschichte für wahrscheinlich halten könnte. Was für eine Zuflucht, Gott anzubeten? Dies stellt vielmehr den logischen Abschluß eines vom Absurden ganz und gar durchdrungenen Lebens symbolisch dar, die verwegene Auflösung einer Existenz, die ganz auf Freuden ohne ein Morgen eingestellt war. Der Genuß vollendet sich hier in der Askese. Man muß begreifen, daß das gleichsam die beiden Gesichter ein und derselben Not sein können. Was für ein schrecklicheres Bild könnte man sich wünschen: ein Mensch, den sein Körper verrät und der es versäumte, rechtzeitig zu sterben, vollendet die Komödie, indem er Aug in Auge mit dem Gott, an den er nicht glaubt, das Ende erwartet, ihm dient, wie er dem Leben gedient hat, kniend vor der Lehre und die Arme zu einem stummen Himmel ausgestreckt, der für ihn auch keine Tiefe hat.
Ich sehe Don Juan in einer Zelle jener spanischen Klöster, die einsam auf einer Höhe liegen. Und wenn er etwas anschaut, so sind es nicht die Phantome verflüchtigter Liebschaften, sondern vielleicht, durch einen glühenden Spalt, irgendeine schweigende Ebene Spaniens, die großartige und seelenlose Erde, in der er sich wiedererkennt. Ja, bei diesem melancholischen und strahlenden Bilde müssen wir verharren. Was zuletzt kommt, das Ende, erwartet, aber nie gewünscht, das endgültig Letzte ist verächtlich.
DIE KOMÖDIE
, sagt Hamlet, Einfangen ist der richtige Ausdruck. Denn das Gewissen eilt rasch vorbei oder verkriecht sich. Man muß es im Flug erhaschen, an der kaum wahrnehmbaren Stelle, an der es einen flüchtigen Blick auf sich selber wirft. Der Alltags-Mensch hält sich nicht gern auf. Im Gegenteil: ihn treibt alles zur Eile. Gleichzeitig aber interessiert ihn nichts mehr als seine eigene Person, vor allem das, was er sein könnte. Daher seine Vorliebe für das Theater, für das Schauspiel, wo ihm so viele Schicksale vorgeführt werden, deren Poesie er aufnimmt, ohne ihre Bitterkeit zu erleiden. Daran wenigstens erkennt man den unbewußten Menschen, der fortwährend irgendeiner Hoffnung nachläuft. Der absurde Mensch fängt da an, wo jener aufhört, wo der Geist das Spiel nicht mehr bewundert, sondern mitspielen will. Eindringen in all diese Leben, sie in ihrer Verschiedenartigkeit erforschen - das eigentlich heißt: sie spielen. Ich behaupte nicht, daß die Schauspieler im allgemeinen dieser Forderung gehorchen und absurde Menschen sind, wohl aber, daß ihr Schicksal ein absurdes Schicksal ist, das ein hellsichtiges Herz verführen und anziehen könnte. Dies muß festgestellt werden, damit das folgende richtig verstanden werden kann. Der Schauspieler herrscht im Vergänglichen. Von allem Ruhm ist bekanntlich der seine der flüchtigste. So heißt es wenigstens allgemein. Aber jeder Ruhm ist flüchtig. Vom Sirius aus gesehen werden GOETHEs Werke in
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