Der Mythos des Sisyphos
egoistisch? Auf seine Art zweifellos. Aber darüber müssen wir uns noch verständigen. Die einen sind fürs Leben geschaffen, die anderen fürs Lieben. Don Juan wenigstens würde das gern behaupten. Aber das hieße einen Seitenweg wählen. Denn die Liebe, von der hier gesprochen wird, ist vor den Illusionen des Ewigen geschützt. Alle Kenner dieser Leidenschaft lehren uns das. Ewige Liebe ist stets widerspruchsvoll. Es gibt auch kaum Leidenschaft ohne Kampf. Eine solche Liebe findet ihr Ende nur im letzten Widerspruch, dem Tod. Man muß Werther sein oder nichts. Auch da gibt es noch mehrere Arten, Selbstmord zu begehen; eine davon ist die völlige Hingabe und Selbstaufgabe. Don Juan weiß wie jeder andere, daß das erregend sein kann. Er weiß aber auch fast als einziger, daß das nicht die Hauptsache ist. Er weiß es sehr gut, daß diejenigen, die eine große Liebe von all ihrem persönlichen Leben ablenkt, möglicherweise reicher werden, daß aber diejenigen, die ihre Liebe auserwählt hat, ebenso gewiß ärmer werden. Eine Mutter, eine leidenschaftliche Frau haben notwendigerweise ein nüchternes Herz, denn es ist von der Welt abgewandt. Ein einziges Gefühl, ein einziges Wesen, ein einziges Gesicht - aber alles wird verschlungen. Eine andere Liebe erschüttert Don Juan, und die macht frei. Sie bringt alle Gesichter der Welt mit sich, und ihr Schauder kommt aus dem Wissen, daß sie vergänglich ist. Don Juan hat gewählt, nichts zu sein.
Für ihn handelt es sich darum, klarzusehen. Liebe nennen wir das, was uns an bestimmte Wesen bindet, nur in bezug auf eine kollektive Sehweise, für die die Bücher und die Märchen verantwortlich sind. Ich verstehe indessen unter Liebe nur die Mischung von Verlangen, Zärtlichkeit und Klugheit, die mich an irgendein Wesen bindet. Diese Zusammensetzung ist nicht bei jedem gleich. Ich habe nicht das Recht, alle diese Erfahrungen mit demselben Namen zu belegen. Das entbindet davon, sie aus denselben Heldenliedern abzuleiten. Der absurde Mensch vervielfacht auch hier, was er nicht vereinfachen kann. So hat er eine neue Art des Seins entdeckt, die ihn mindestens ebenso befreit, wie sie diejenigen befreit, die sich ihm nähern. Großmütig ist die Liebe nur, wenn sie sich zugleich vergänglich und einzigartig weiß. Alle diese Tode und alle diese Wiedergeburten sind für Don Juan die Ernte seines Lebens. Darin besteht seine Art, zu geben und leben zu spenden. Ich stelle anheim, ob man da von Egoismus reden kann.
Strafe für Don Juan?
Ich denke hier an alle, die Don Juan durchaus bestraft wissen wollen, nicht erst in einem anderen Leben, sondern noch in diesem. Ich denke an alle Erzählungen, Legenden und an das Gelächter über den alten Don Juan. Aber Don Juan ist schon darauf gefaßt. Für einen bewußten Menschen sind das Alter und die Dinge, die es ankündigt, keine Überraschungen. Er ist nur genau in dem Maße bewußt, wie er sich das, was daran schrecklich ist, nicht verschleiert. In Athen gab es einen Tempel, der dem Alter geweiht war. Dorthin wurden die Kinder geführt. Bei Don Juan ist es so: je mehr man über ihn lacht, um so deutlicher verrät sich seine Gestalt. Damit wehrt er sich gegen die Gestalt, die die Romantiker ihm gaben. Über diesen gemarterten und bejammernswerten Don Juan will keiner lachen. Man bedauert ihn. Der Himmel selber wird ihn entschädigen? Aber das ist es nicht. In dem Universum, das Don Juan ahnt, ist auch der Lächerliche mitenthalten. Er fände es nur richtig, gezüchtigt zu werden. Die Spielregel verlangt das so. Und das ist ja gerade seine Großmut, daß er die ganze Spielregel angenommen hat. Er weiß aber, daß er recht hat und daß es sich nicht um Züchtigung handeln kann. Ein Schicksal ist keine Strafe.
Das ist sein Verbrechen, und wie verständlich ist es, daß die Anhänger der Ewigkeit seine Bestrafung fordern. Er erreicht ein illusionsloses Wissen, das alles leugnet, was sie bekennen. Lieben und Besitzen, Erobern und Ausschöpfen - das ist seine Art zu erkennen. (Dieses Lieblingswort der Heiligen Schrift, die unter den physischen Liebesakt versteht, hat schon einen Sinn.) Und durch das Ausmaß, in dem er sie ignoriert, ist er der schlimmste Feind jener Frommen.
Ein Chronist erzählt, der wahre sei von Franziskanern ermordet worden, weil sie . Sie verkündeten dann, der Himmel hätte
Weitere Kostenlose Bücher